Der Herzberuehrer
sie ihn seinerzeit gezielt in dieses Internat gesteckt, Danieles private Hölle.
»Wieso?«, fragte ich daher. Ich verstand es einfach nicht.
»Um ihnen Fragen zu stellen...«
»Was für Fragen?«
Aber Daniele reagierte nicht, war mit seinen Gedanken scheinbar woanders. Dann, ganz plötzlich, begann er zu laufen, unvermittelt.
»Komm...«, rief er mir zu, indem er sich im Laufen umdrehte. »...Wer zuerst bei der Mole ist..." Und rasch begann er mit federnden Schritten den Meeressaum entlang zu spurten...
·
Es wurde ein schöner Tag. Ein entspannter. Den Strandspaziergang dehnten wir genüsslich aus, so dass wir rund zwei Stunden am Meer verbrachten.
Am Ende saßen wir einfach nur schweigend nebeneinander im kühlen Sand, den Blick über den Horizont gerichtet, jeder seinen Gedanken nachhängend.
Bei uns beiden war viel passiert, in der letzten Zeit. Einschneidende Erlebnisse. Und irgendwann begann ich ihm einfach von den meinen zu erzählen. Ich berichtete von Rebeccas Hochzeit, von meiner Familie, von Valentina, beschrieb ihre spröde Kälte. Ich erzählte davon, wie sehr sich meine kleine Schwester gewandelt hatte, dass eine junge Frau aus ihr geworden war, ja, dass ich sie mochte. Und schließlich erzählte ich sogar von Renzo.
»Ich kenne deinen Bruder...«, erklärte Daniele nach einer Weile und dann, als Reaktion auf meinen irritierten Blick: »...Er ist ab und zu im L'amo.«
Das lag natürlich auf der Hand, aber trotzdem machte es mich verlegen. Daniele hatte nun also auf einmal ein konkretes Bild vor Augen, wenn ich von Renzo und meiner Beziehung zu ihm sprach. Aber ich erzählte weiter und dabei fiel mir auf, dass ich eigentlich nur nette Worte für ihn fand. Hatte ich auf meinem Berg jegliche Begegnung mit meinem Bruder vermieden, so begann er mir hier am Strand plötzlich zu fehlen.
»Als es mit meiner Familie den Bach runterging, da war Renzo für uns da...«, beschrieb ich ihn fast schwärmerisch. »...Da konnten wir bei einem seiner Freunde in Ravenna abtauchen...«
Daniele nickte, so als kenne er die ganzen Geschichten schon, und vermutlich war dem auch so.
»Du hast mich gehasst, stimmt's?«, fragte er plötzlich, völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Ich sah ihn einfach nur groß an.
»Na, ich habe dir alles kaputt gemacht...«, setzte er nach. »...Dein Leben mit Shiro. Die Pläne, die ihr hattet...«
»Wir hatten keine Pläne...«
»Trotzdem...«
»Ja, gut...«, gab ich zu »...Ich habe dich gehasst. 'Daniele, der Herzberührer'... Toll war das nicht gerade...«
»...Der... Herzberührer...?«
»So hat Shiro dich genannt.«
» Herzberührer ...«
»Das wusstest du nicht?«
Er schüttelte den Kopf.
»Da siehst du mal...«
» Ihm hab ich auch alles kaputt gemacht...«
Dazu schwieg ich, wartete einfach ab.
»...Ich konnte ihn nicht glücklich machen... obwohl ich es, glaube ich, sogar versucht habe.«
Er zog die Knie an seinen Körper und legte seinen Kopf auf ihnen ab, seinen Blick dem Meer zugewandt.
»Damals, als ich ihn wiederfand, da war ich ganz sicher, dass ich das konnte... ihn glücklich machen meine ich... Ich war so froh, ihn gefunden zu haben...«
»Du dachtest, ihr könnt da weitermachen, wo ihr aufgehört habt...«
»Genau. Das hatte ich gehofft...«
»Und dann ging das nicht mehr...«
Daniele antwortete nicht, aber es war von mir auch eher als Feststellung gemeint.
»Und...?«, fragte ich nach einiger Zeit. »...Hast du mich gehasst?«
Er legte erstaunt seinen Kopf schief und sah mich groß an. »Ich hab dich bewundert...«, erwiderte er ernsthaft.
»Mich?« Ich musste lachen. »Etwa weil ich im Fernsehen war?«
»Nein...«, antwortete er kopfschüttelnd. »...Weil du glücklich warst... obwohl deine Familie...«
Er griff gedankenverloren eine Handvoll Sand und ließ ihn langsam durch seine Finger rieseln. »Für mich warst du damals der glücklichste Mensch auf der Welt.«
»Klar! Ich hatte all das, was du dir gewünscht hast.«
»Du hattest vor allem nichts von dem, was ich hatte. Das machte dich zu einem glücklichen Menschen und mich zu... mir...«
»Bist du deshalb damals zu mir gekommen...?«
»Ich bin damals zu dir gekommen...«, sagte er leise, ganz in seine Erinnerung abgetaucht, »...Weil ich der Stimme gefolgt bin. Es war ein Test.«
Diese Antwort überraschte mich.
»Ein Test?«
»Ein Test! Und Gerechtigkeit! So hatte er es mir jedenfalls erklärt...«
»Gerechtigkeit...?«
»...Ein Stück vom Glück... nur etwas... ein
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