Der Herzog und seine geliebte Feindin
sie …?“
Aber Miss Pursling war nicht länger da. Sie hatte bereits zur Hälfte den Raum durchquert. Sie hatte sich bei ihm nicht entschuldigt oder nach einem Vorwand gesucht. Sie war einfach gegangen, ihrer Freundin nachgelaufen. Einen Augenblick später schloss sich hinter ihr die Tür.
Es hatte ihn gewundert, dass ihre Haltung, der Ausdruck auf ihrem Gesicht während ihres Gespräches so ungetrübt geblieben war. Aber sie hatte sich auch vor ihm versteckt. Sie hatte ihn so auf den Stuhl gelenkt, dass sie weiterhin ihre Freundin im Auge behalten konnte. Er hatte geglaubt, sie schaue ihn nicht an, um Schüchternheit vorzutäuschen. Stattdessen hatte sie Stevens beobachtet.
Alles, was ich tue, enthält eine doppelte Bedrohung. Das war keine Aufschneiderei gewesen. Sie hatte seine Versuche, eine Unterhaltung mit ihr zu führen, nur mit halber Aufmerksamkeit abgewehrt, ihm Vorträge über Strategie gehalten und die ganze Zeit für etwaige Beobachter die unbeholfene Landpomeranze gegeben. Und während sie das getan hatte, hatte sie gleichzeitig das sich entfaltende Drama auf der anderen Seite des Zimmers verfolgt.
Gütiger Himmel. Sein Kopf schmerzte, wenn er nur daran dachte, wie viele Fäden sie gleichzeitig im Geiste in der Hand gehalten hatte.
„Euer Gnaden.“
Robert ließ die Überlegungen sein, drehte sich um und sah, dass ein Mann neben ihm stand. Es war George Stevens, mit grimmiger Miene und missbilligend vorgeschobenem Kinn. Er hatte sich das Meiste von dem Punsch abgewischt, aber sein Halstuch wies rosa Flecken auf, und seine Stirn glänzte klebrig, was bewirkte, dass Roberts Haut mit einem Mal juckte.
„Captain Stevens“, sagte Robert.
„Wenn ich einen Moment lang Ihre Zeit beanspruchen dürfte?“
Robert blickte flüchtig zu der Tür, durch die Miss Pursling verschwunden war. „Natürlich.“
Stevens machte eine steife kleine Verbeugung, und ließ sich dann umständlich auf dem Stuhl nieder, den Miss Pursling eben frei gemacht hatte. „Es ist bewundernswürdig“, erklärte er, „in jeder Hinsicht bewundernswürdig, dass ein Mann in Ihrer Stellung sich herablässt, mit jedem Anwesenden bei einer Gesellschaft wie dieser zu sprechen.“ Er rieb die Hände aneinander. „Aber … äh, wie drücke ich das am besten aus?“ Er senkte die Stimme. „Nicht alle Frauen verdienen diese Ehre. Miss Pursling ist nicht, wer sie zu sein vorgibt.“
„Oh?“ Robert war immer noch zu entsetzt, um mehr zu tun, als sich das anzuhören. „In welcher Hinsicht stimmt Miss Pursling nicht mit dem Bild überein, das sie nach außen abgibt?“
Stevens schien sich bei dieser Antwort zu entspannen. „Ich habe Grund zu der Annahme, dass sie nicht ist, wer sie zu sein behauptet.“
„Grund? Welchen Grund?“
Der andere Mann blinzelte, als sei er es nicht gewöhnt, solche Fragen gestellt zu bekommen. „Nun, ich … äh, ich habe mit jemandem gesprochen, der ihre Großtante gut kannte. Diese Frau hatte keine Ahnung von Miss Purslings Existenz.“
„ Kannte , sagten Sie?“ Robert achtete darauf, weiter freundlich zu klingen. „Wie lange ist es her, dass diese Frau Ihre Großtante kannte?“
Stevens begann sich wie ein bei einer Schwindelei ertappter Schuljunge zu winden. „Rein technisch betrachtet kannte sie sie, bevor sie nach Leicester gezogen ist. Das heißt …“
„Technisch?“ Robert hob eine Augenbraue. „Verzeihen Sie bitte, wenn ich mich mit den Familien der Gegend nicht so gut auskenne wie Sie. Aber ist nicht Miss Purslings Großtante vor über fünfzig Jahren hierher gezogen?“
„Ja.“ Stevens sank auf seinem Stuhl in sich zusammen. „Aber diese Dame kannte die ganze Familie, verda… verflixt.“ Stevens brach ab, holte tief Luft. „Sie hätte es gewusst, wenn die junge Miss Elvira Pursling geheiratet hatte – die Frau, die angeblich Miss Wilhelminas Mutter ist. Die Leute reden, Euer Gnaden, vor allem über erfreuliche Ereignisse. Aber in diesem Fall ist darüber nichts zu finden. Ich habe Grund zu der Annahme, dass Miss Pursling vielleicht nicht ehelich geboren ist.“
Das konnte schon sein. Wenn, dann erklärte das ihren nachdrücklichen Wunsch, dass niemand in ihrer Vergangenheit herumstocherte. Ein wenig anders , allerdings.
Wenn an Stevens‘ Behauptung irgendetwas dran war, konnte Robert das ein für alle Mal beilegen. Eine kleine Drohung, wo sie bereits zu Erpressung gegriffen hatte …
Aber nein. Er war ein Gentleman, und zudem einer der mächtigsten Männer im Land.
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