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Der heulende Müller

Titel: Der heulende Müller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arto Paasilinna
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Hand schrie er:
    »Halt! Ich will diesen Fall untersuchen!« Ervinen blickte dem gefesselten Müller kurz in die
    Augen. Er traf seine Diagnose auf der Stelle: »Eindeutig verrückt.«
    Huttunen starrte den Arzt mit irrem Blick an, erkann­ te ihn nicht, schrie nicht mehr. Ervinen suchte in den Taschen des Müllers nach dem Tablettenröhrchen, ließ es schnell in seine eigene Tasche gleiten und wischte dann den Schaum vom Mund des Patienten. Zum Schluß erklärte er:
    »In der Zelle lassen Sie ihn gefesselt. Ich mache mor-gen früh die Papiere für Oulu fertig.«
    Das Pferd bekam einen Schlag aufs Hinterteil, und das Fuhrwerk entfernte sich in Richtung Polizeistation. Ervinen sah, wie Wachtmeister Portimo sein eigenes Taschentuch herauszog, um dem Verhafteten die Stirn zu trocknen.
    Zu Hause schüttete Doktor Ervinen den Sand aus seinen Pantoffeln und hängte das Gewehr an die Wand. Das Tablettenröhrchen, das er Huttunen weggenommen hatte, verwahrte er wieder im Schrank. Als er sah, wie wenig vom Inhalt noch übrig war, schüttelte er traurig den Kopf. Er nahm einen Schluck medizinischen Spiri­ tus gleich aus der Flasche und ging mit den Pantoffeln an den Füßen zu Bett.
    Frau Siponen kochte Kaffee für den Kaufmann, den Lehrer und den Pastor, letzterer streichelte Siponens hartgesottenen Bärenhund. Plötzlich fiel der Bäuerin ihre unheilbare Krankheit ein, sie schlug sich feierlich
    an die Brust und sank zu Boden, um sich dann so gelähmt wie möglich wieder in ihre Schlafkammer zu schleppen. Dort klagte sie über ihr schweres Leiden, das sie für den Rest ihres Lebens ans Bett fesselte.
    Sanelma Käyrämö fand während der ganzen Nacht keinen Schlaf. Sie weinte in ihr Laken um ihren Gunnar, den ein unbegreifliches Schicksal ihr genommen hatte. In ihrer einsamen Kammer quälten sie Verzweiflung und Liebeskummer.
    Huttunen schlief in der Arrestzelle in seinen Fesseln ein. Als er am nächsten Tag erwachte, saß er gefesselt auf dem Rücksitz eines Personenwagens, neben ihm Wachtmeister Portimo. Sanft, fast entschuldigend sagte dieser zu ihm:
    »Wir haben schon Simo hinter uns, Kunnari.« 12
    Die Nervenklinik war ein großer, düsterer Bau aus roten Ziegeln. Er erinnerte eher an eine Kaserne oder ein Gefängnis als an eine Klinik. Wachtmeister Portimo betrachtete das Gebäude und meinte:
    »Ein schlimmer Ort… aber sei mir deswegen nicht bö­ se, Kunnari. Ich bin unschuldig an der Sache, hab’ dich bloß von Amts wegen hergebracht. Wenn ich was zu sagen hätte, würde ich dich laufenlassen.«
    Huttunen wurde in die Patientenkartei der Anstalt aufgenommen. Man nahm ihm sein Geld sowie alle persönlichen Gegenstände ab und übergab ihm die Anstaltskleidung: einen verschlissenen Pyjama, Pantof­ feln und eine Mütze. Die Hosenbeine waren zu kurz, ebenso die Jackenärmel. Einen Gürtel gab es nicht.
    Durch hallende Gänge führte man ihn in einen gro­ ßen Raum, der bereits sechs Patienten beherbergte. Man zeigte ihm ein Bett und sagte, das sei von nun an sein Platz. Die Tür fiel mit dumpfem Knall zu, ein schwerer Schlüssel drehte sich im Schloß, die Verbindung zur Außenwelt war abgeschnitten. Huttunen begriff, daß er allen Ernstes in der Irrenanstalt gelandet war.
    Der Raum war kalt und öde. Die Einrichtung bestand aus sieben Eisenbetten und einem Tisch, der mit Bolzen an der Betonwand befestigt war. An einer Wand befand sich ein hohes vergittertes Fenster. Man konnte sehen, daß die Außenwand des Gebäudes fast einen Meter dick
    war. Die Wände des Krankenzimmers zeigten hier und da Risse, die mit Kalkanstrich überdeckt worden waren. An der Decke hing eine helle Glühlampe ohne Schirm.
    Die Mitpatienten lagen oder saßen auf ihren Betten. Obwohl ein Neuer angekommen war, wandten sie kaum den Kopf. Huttunens unmittelbarer Nachbar war ein zitternder Greis, der mit geschlossenen Augen auf der Bettkante saß und unverständliches Zeug vor sich hin murmelte. Auf dem nächsten Bett saß ein etwas jünge­ rer kahlköpfiger Mann, der starr in die Ecke blickte. Der nächste war noch jünger, ein weinerlich wirkender Hänfling, dessen Mimik ständig wechselte: mal wirkte er fröhlich, dann wieder traurig und kummervoll. Er run­ zelte die Stirn, doch gleich darauf verzog sich sein be-bender Mund zu einem ungewollten, stumpfsinnigen Lächeln.
    An der Tür stand ein einzelnes Bett, auf dem ein kräf­ tiger und rundum gesund wirkender Mann lag. Er hielt ein Buch in der Hand und las.
    Hinten im Zimmer saßen noch

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