Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der heulende Müller

Titel: Der heulende Müller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arto Paasilinna
Vom Netzwerk:
verlangte zu heulen, doch wie sollte er das hier vor all den Leuten wagen.
    Nach einiger Zeit fuhr er auf, denn der Mann von dem Einzelbett an der Tür kam zu ihm geschlichen.
    »Psst! Tu so, als ob du nichts hörst.« Huttunen öffnete die Augen und sah den Mann fra­
    gend an.
    »Ich bin nicht verrückt, aber das wissen die Jungs hier nicht. Laß uns drüben am Fenster zusammen reden. Geh du zuerst hin, ich komme dann nach.«
    Huttunen stellte sich an die Fensterwand des Kran­ kenzimmers. Bald kam der geheimnisvolle Mitpatient leise zu ihm. Er schaute hinaus, und man hätte denken können, er spreche zu sich selbst:
    »Wie ich vorhin sagte, ich bin eigentlich überhaupt nicht verrückt. Und ich glaube, du bist es genausowe­ nig.«
    13
    Der Mann war um die Vierzig, er hatte ein breites Ge­ sicht und sah frisch und blühend aus. Er sprach freundlich und ruhig:
    »Ich bin Happola. Aber wir wollen auf den Handschlag verzichten, damit die Verrückten da hinten nichts mit­ kriegen.«
    Huttunen erzählte ihm, er sei noch vor wenigen Tagen ein ganz gewöhnlicher Müller gewesen. Er habe ver­ sucht, den Anstaltsarzt zu überzeugen, ihn wieder in seine Mühle zu lassen, doch der habe nichts davon hören wollen.
    »Ich war auf dem Immobiliensektor tätig. Der Krieg hat allerdings meine Geschäfte gestört, weil ich in diese Anstalt mußte. Es ist ziemlich schwierig, die laufenden Angelegenheiten von hier aus zu erledigen. Wenn ich auf freiem Fuß wäre, liefe alles besser. Aber sowie ich zehn Jahre hier rumhabe, mache ich Schluß mit dem Thea­ ter. Mir gehört in Heinäpää ein Haus, vielleicht richte ich mir dort einen Laden oder eine Werkstatt ein.«
    Er berichtete, sein Haus sei vermietet und das Geld fließe auf die Bank. Ihm selbst entstünden hier in der Klinik keinerlei Unterhaltskosten.
    Happola erzählte, er habe sich das große Mietshaus im Ouluer Stadtteil Heinäpää schon 1938 gebaut und bereits damals ein halbes Dutzend Familien als Mieter aufgenommen. Dann sei der Krieg ausgebrochen, und er sei an die Front geschickt worden. Er habe den ganzen Winterkrieg in Suomussalmi mitgemacht.
    »Es war eine gefährliche Zeit. Viele Männer aus unse­ rer Kompanie sind gefallen. Damals habe ich beschlos­ sen, sollte der Krieg je zu Ende sein, gehe ich kein zwei­ tes Mal mehr an die Front.«
    Während des Waffenstillstands hatte Happola neue Mieter anstelle der Gefallenen aufgenommen. Die Ge­ schäfte waren gut gelaufen, er hatte sogar geplant, sich eine Frau zu nehmen. Aber im Spätwinter 1941 waren in Oulu deutsche Soldaten aufgetaucht, und je weiter der Frühling voranschritt, desto militärischer hatte die Welt ausgesehen. Happola hatte sich Gedanken ge­ macht, wie er es im Fall eines erneuten Kriegsausbruchs vermeiden könne, wieder eingezogen zu werden.
    »Ich habe angefangen zu hinken und ständig geklagt, meine Augen hätten stark nachgelassen. Der Arzt hat mich aber nicht für kriegsuntauglich erklärt. Jemand hat ihm gesteckt, daß ich gesund bin – ich hab’ natür­ lich nicht immer und überall daran gedacht, zu hinken und die Augen zusammenzukneifen.«
    Happola wurde nicht der Reserve zugeteilt. Es wurde bedrohlich für ihn, die feine Nase des Geschäftsmannes witterte den Kriegswind.
    »Dann bin ich auf die Idee gekommen, den Verrückten zu spielen. Zuerst haben die Leute gelacht und es als Spaß aufgefaßt. Aber ich bin dabei geblieben, mein einziger Gedanke war bloß immer, daß ich auf keinen Fall an die Front will. Es war ziemlich anstrengend. Einen Verrückten spielen kann nicht jeder, man muß klug vorgehen und konsequent sein, damit es einem geglaubt wird.«
    Huttunen fragte interessiert:
    »Welche Art von Verrückten hast du gespielt? Hast du angefangen, wie ein Wolf zu heulen?«
    »So was machen Verrückte doch nicht… Ich habe verworren geredet. Die Leute sollten denken, ich hätte einen Verfolgungswahn. Ich habe die Nachbarn be­ schuldigt, daß sie gedroht hätten, mein Haus anzuzün­ den. Oder ich habe erklärt, man habe versucht, mich in der Garage mit Abgasen zu ersticken. Wenn die Ärzte mir Tabletten geben wollten, habe ich behauptet, sie versuchten mich zu vergiften. Darüber habe ich auch in der Zeitung geschrieben. Das gab vielleicht ein Theater! Als nächstes habe ich Leute angezeigt. Ich habe der Polizei erzählt, ein bestimmter Bankdirektor habe ver­ sucht, mich in den Konkurs zu treiben. Mehr war nicht nötig – sie haben mich mit fliegenden Fahnen hierherge­ schafft.

Weitere Kostenlose Bücher