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Der heulende Müller

Titel: Der heulende Müller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arto Paasilinna
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Der ältere von beiden drückte seine Zigarette in einem Blumentopf auf dem Fensterbrett aus und verkündete:
    »Scheiße hat er jedenfalls noch keine gegessen, soviel ich weiß.«
    Huttunen protestierte entschieden. Es sei unver­ schämt, ihm solche abscheulichen Dinge zu unterstel­ len. Er sprang erregt von seinem Stuhl auf, doch als sich die beiden Pfleger ebenfalls erhoben, schluckte er seine Bitterkeit hinunter und setzte sich wieder hin. Der jüngere Pfleger sagte beiläufig:
    »Wenn du hier anfängst zu toben, stecken wir dich am besten in die geschlossene Abteilung, stimmt’s, Doktor?«
    Der Arzt nickte. Er sah Huttunen streng an. »Versuchen Sie sich zu beruhigen. Ich verstehe ja,
    daß Ihre Nerven nicht in Ordnung sind.« Huttunen dachte bei sich, wenn er auf freiem Fuß
    wäre, würde er diese drei Idioten plattmachen. Der Arzt fuhr fort, aus dem Artikel zu zitieren, jetzt mehr für sich selbst als für die Pfleger oder den Patienten.
    »Die Schockreaktionen, die im Zusammenhang mit starken körperlich-seelischen Erschütterungen auftre­ ten, etwa nach der Explosion von Fliegerbomben und schweren Granaten, beim Verschüttetwerden oder in Nahkämpfen, wobei starke Anstrengung mit unmittelba­ rer Todesgefahr verbunden ist, sind in ihren Symptomen häufig sowohl körperlicher als auch seelischer Art. Als körperliche Symptome treten auf: Schwund der Sehkraft oder des Gehörs, psychogene Lähmungen und Schlaff­ heit der Muskulatur… Die seelischen Symptome sind Verwirrtheit, Gehemmtheit und Amnesie, die zu einem totalen Dämmerzustand führen können. Bei den mei­ sten geht die Schockpsychose schnell vorbei, wobei sie für kurze Zeit starke Müdigkeit, Schlaflosigkeit und die Neigung zu Horrorvisionen zurückläßt. Bei manchen manifestiert sie sich jedoch als sinnvolle Reaktionsweise, die später in schwierigen Situationen zur Anwendung kommt.«
    Der Arzt unterbrach seine Lektüre. Er musterte Hut­ tunen eingehend und sagte, halb zu sich selbst:
    »Dröhnt eine Mühle nicht so ähnlich wie ein Bomber?« »Die macht lange nicht soviel Krach«, fauchte Huttu­
    nen beleidigt. »Ich bin im Krieg kein einziges Mal unter Trümmer geraten, falls Sie darauf hinauswollen.«
    Der Arzt sagte nachdrücklich:
    »Mit der Schockpsychose geht oft eine durch den Luftdruck verursachte Gehirnerschütterung einher, deren Heilung außerordentlich langwierig ist. Es können durchaus auch permanente Symptome zurückbleiben. Wer eine solche Reaktion gezeigt hat, eignet sich im allgemeinen weder für den Frontdienst noch für irgend­ welche anderen verantwortungsvollen Aufgaben. Ist die Arbeit eines Müllers nicht sehr verantwortungsvoll? Ich stelle mir vor, daß man sich da gleichzeitig um das Korn und um das Funktionieren der ganzen Anlage kümmern muß.«
    Huttunen murmelte, die Arbeit des Müllers sei nicht anspruchsvoller als jede andere. Der Arzt beachtete ihn jedoch nicht, sondern las eine weitere unterstrichene Passage aus dem Artikel vor:
    »Es kommt relativ häufig vor, daß ein Patient, der eine Schockreaktion gezeigt hat und davon vollständig gene-sen ist, nach der Entlassung aus dem Kriegsdienst mit einer Neurose reagiert, wenn er in finanzielle Schwierig­ keiten oder andere Konflikte gerät. Dann ist davon auszugehen, daß der neuerliche neurotische Schub auf seine konstitutionelle Schwäche und auf die vom Kriegsdienst unabhängigen neuen Bedingungen zurück­ zuführen ist.«
    Der Arzt schob die Zeitschrift beiseite. »Meine Diagnose steht fest: Sie sind ein geisteskran­
    ker Mann, eine manisch-depressive Persönlichkeit, zu Ihrem Krankheitsbild gehören außerdem Nervenschwä­ che und Neurasthenie. All das ist die Folge einer Kriegs­ psychose.«
    Er unterbrach sich, putzte seine Brille und fuhr fort: »Ich kann Sie verstehen. Sie haben es bestimmt
    schwer gehabt. Aus Ihren Unterlagen geht hervor, daß Sie die Angewohnheit hatten zu heulen, insbesondere im Winter und nachts. Außerdem ahmen Sie Tiere nach… Diese Dinge sind noch zu klären, speziell Ihr Hang zum Heulen. Ich habe in meiner beruflichen Laufbahn noch keinen Patienten getroffen, der eine so starke Neigung zum Heulen verspürt hätte. Die meisten begnügen sich damit, zu weinen und zu winseln.«
    Er erkundigte sich bei den Pflegern, ob der Patient nach seiner Einlieferung geheult habe.
    »Bis jetzt haben wir nichts gehört. Aber falls er an­ fängt, sagen wir Ihnen gleich Bescheid.«
    »Lassen Sie ihn ruhig heulen. Unsere Wände können

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