Der heulende Müller
Kamerad.
Die Tür der Mühle war zugenagelt. Der Müller riß sie mit solcher Kraft auf, daß es Nägel und Holzsplitter auf den Hof regnete.
In der Mühlenstube lag alles kreuz und quer durch einander. Sie war durchsucht worden, sogar das Bett war zerwühlt, der Geschirrschrank aufgerissen, Töpfe fehlten. Aus der Kammer waren sämtliche Lebensmittel verschwunden, nicht einmal der Kartoffelsack lag noch da, wo Huttunen ihn zurückgelassen hatte.
Die Flinte hing auch nicht mehr an der Wand. Hatte der Kommissar sie beschlagnahmt, oder war sie gestoh len worden?
In der Speisekammer fand sich nicht einmal mehr Knäckebrot. Hungrig aß Huttunen die letzten Eier aus Kemi und trank aus der Kelle Wasser dazu.
Dann verschaffte er sich einen Überblick über seine Habe und stellte entrüstet fest, daß allerlei Nützliches verschwunden war: die Reisekiste, der Sonntagsanzug, die Flinte, einige Werkzeuge, der große Kessel, ein ge blümtes Laken samt ebensolchem Kissenbezug sowie alles Eßbare… Zornig warf Huttunen sich aufs Bett und grübelte, wer hinter der Missetat stecken mochte. Plötz lich sprang er auf, lief in die Ecke und lockerte das äußerste Dielenbrett. Er steckte seine Hand in die Fül lung, suchte und suchte, die Hand zog eine weite und tiefe Spur im Sägemehl. Seine Miene verriet Spannung, dann allmählich Verzweiflung, aber plötzlich hellte sie sich auf. Mit einem Freudenschrei sprang er auf, in der Hand sein staubiges Sparkassenbuch.
Der Müller stieß ein hohes und helles Geheul aus, wie in früheren guten Zeiten. Er erschrak über seine eigene Stimme und schlich ans Fenster, um zu prüfen, ob ihn jemand gehört habe. Der Hof war leer, der Müller beru higte sich. Er reinigte das Sparbuch von den Sägespä nen. Der Saldo zeigte ihm, daß er noch Geld auf dem Konto hatte. Ansonsten sah es freilich betrüblich für ihn aus.
Er stellte sich ans Fenster und betrachtete den Gar-ten, der während seiner Ouluer Zeit angefangen hatte zu grünen. Es war zu sehen, daß ihn jemand gepflegt hatte: kein einziger Unkrauthalm stand zwischen den Reihen, die Wege waren sauber geharkt und die Pflanzen verzo gen. Huttunen begriff, daß sich Sanelma Käyrämö wäh rend seiner Abwesenheit um die Parzelle gekümmert hatte.
Trunken vor Glück rannte er hinaus und untersuchte den Garten eingehend. Auf den Wegen zwischen den Beeten sah er die Abdrücke eines kleinen Frauenfußes.
»Gesegneter Garten«, dachte Huttunen. 17
Zwei Tage lang saß Müller Huttunen in seiner Stube und starrte durchs Fenster auf seine Klubparzelle. Er hoffte inständig, die Beraterin Sanelma Käyrämö käme den Mühlenhang heruntergeradelt, um nach dem Ge müse zu sehen.
Das Warten war vergebens, sie kam nicht. Trübsinnig dachte Huttunen, wie verantwortungslos es von ihr sei, den Acker so lange sich selbst zu überlassen.
Es war schon einige Zeit her, seit er zuletzt richtig ge gessen hatte. Er dachte an den dicken Brei in der Ou luer Nervenklinik, den er lustlos in sich hineingelöffelt hatte. Jetzt ließ ihm der Gedanke an diese armselige Mahlzeit das Wasser im Mund zusammenlaufen. Und erst die Eier aus der Bahnhofsgaststätte von Kemi! Davon hätte er jetzt einen ganzen Korb auf einmal in sich hineinschlingen können. Statt dessen mußte er sich damit begnügen, Wasser zu trinken. Als Beilage dazu fegte er sich aus den Fußbodenritzen ein paar Handvoll vorjähriges Mehl zusammen. Doch es half nicht gegen den Hunger, zumal es so unsauber war, daß Huttunen sich schüttelte.
Am Abend des zweiten Tages trieb ihn der Hunger aus seiner Stube. Er schlich sich nach unten in die Mühle und öffnete die Fußbodenklappe, dann schlüpfte er durch die Turbinenkabine ins Freie. Quer durch die Wälder nahm er Kurs auf Tervolas Laden. Er war so ausgehungert, daß er nicht mehr richtig sehen konnte. Im Weidengebüsch am Fluß schlugen ihm die Zweige ins Gesicht, seine Augen tränten, ein Kloß stieg ihm in die Kehle. Das war kein Essen, sondern hungrige Trauer.
Huttunen schlich erst eine Weile um Tervolas Grund stück, um sich zu vergewissern, daß weder auf dem Hof noch im Laden Leute waren. Als er überzeugt war, daß sich nur der Kaufmann mit seiner Familie im Haus aufhielt, klopfte er an die Hintertür. Tervola öffnete. Als er sah, wer da Einlaß begehrte, wollte er die Tür zu schlagen, doch Huttunen konnte rechtzeitig einen Fuß dazwischenschieben.
»Du kannst nicht rein. Der Laden ist geschlossen.« Huttunen bat,
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