Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der heulende Müller

Titel: Der heulende Müller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arto Paasilinna
Vom Netzwerk:
schmächtig gewesen war, hatte man ihn zusätzlich zu allen Demütigungen noch auf das gröbste verspottet. Man hatte ihm die Schule verwehrt und sogar das Krankenhaus, obwohl er Ruhr, Typhus und mindestens zweimal Lungenentzündung bekommen hatte. Als er dann mit fünfzehn aus der Vorratskammer ein Stück Speck entwendete, brachte ihn der Bauer vor Gericht. Daraufhin landete er im Gefängnis. Er kam zu einem widerlichen mehrfachen Mörder in die Zelle, der ihn fast ein Jahr lang täglich verprügelte. Als er endlich entlassen wurde, versteckte er sich einen ganzen Som­ mer lang in einer Scheune und ernährte sich haupt­ sächlich von Beeren, Ameiseneiern und Fröschen. Im Herbst, bei der Heueinfuhr, wurde das Versteck ent­ deckt. Ein zweites Mal sperrte man ihn nicht ins Ge­ fängnis, sondern brachte ihn hierher in die Anstalt. Seitdem lief es einigermaßen gut für ihn.
    Er weinte. Huttunen versuchte ihn zu trösten, doch der Bursche konnte seinen Tränenfluß nicht stoppen. Huttunen wurde noch trauriger als vorher. Er fragte sich, warum das Leben so entsetzlich schwer sein muß­ te.
    Bald vergaß der Hänfling seine ganze Geschichte, setzte sich auf sein Bett und zeigte abwechselnd eine fröhliche, eine unsichere und eine erschrockene Miene. Huttunen zog sich die Decke über die Ohren und hatte das Gefühl, nun tatsächlich verrückt zu werden.
    In den beiden folgenden Nächten schlief Huttunen überhaupt nicht. Tagsüber stand er nicht aus dem Bett auf und aß auch nicht. Als Happola ihm gegen Abend verstohlen eine Zigarette anbot, drehte er sich zur Wand. Was nutzte ihm die verfluchte Zigarette, wenn er nicht schlafen konnte und sich vor dem Essen ekelte.
    Nachts lief Huttunen wieder im Zimmer herum. Alle anderen Patienten schliefen und schnarchten. Die fin­ steren Kerle hinten in der Ecke furzten ab und zu. Der Hänfling weinte und jammerte leise im Schlaf. Huttunen spürte einen Druck im Kopf, seine Schläfen schmerzten, die Kehle war ausgetrocknet und sein Geist vollkommen blockiert. Er begann mit leiser Stimme zu wimmern. Die Laute kamen klagend und gedämpft aus seiner Kehle, schwollen ein wenig an, und plötzlich stieß er mit aller Kraft ein mächtiges Geheul aus, so daß sämtliche Be­ wohner des Krankenzimmers aus ihren Betten sprangen und sich ängstlich an die Wand drückten.
    Huttunen brüllte mit voller Kraft, er schrie seine gan­ ze Qual, seinen Freiheitsdrang, seine Einsamkeit und Trübsal hinaus. Es war, als bekämen die steinernen Wände Risse von dem durchdringenden Geheul, als dröhnten die Eisenbetten unter der Macht der Stimme. Die Lampe an der Decke schwankte, und plötzlich flammte sie auf. Drei Pfleger stürzten ins Zimmer und führten Huttunen zu seinem Bett. Das Eisengestell quietschte, als sie sich auf seinen Rücken setzten und ihn mit Faustschlägen zur Ruhe brachten.
    Als die Pfleger gegangen waren und die Lampe ge­ löscht hatten, trat Happola zu ihm ans Bett und flüster­ te:
    »Donnerwetter, hab’ ich mich erschrocken.« Müde sagte Huttunen:
    »Ich halte es nicht länger aus. Leih mir deinen Schlüssel, ich verschwinde.«
    Happola hatte Verständnis. Er wandte jedoch ein, daß eine Flucht sich nicht lohne, die Klinik würde ihn bald wieder zurückholen. Doch Huttunen blieb bei seinem Entschluß.
    »Wenn ich hier nicht bald rauskomme, verliere ich den Verstand.«
    Happola gab ihm recht. Er wußte sehr gut, wie qual­ voll es war, eingeschlossen in der Klinik zu liegen, wenn man sich in die Freiheit sehnte.
    In dieser Nacht trafen sie eine Vereinbarung. Happo­ las Geschäftssinn erlaubte ihm nicht, die Flucht ohne Gegenleistung zu organisieren. Er erklärte, die geeignete Bezahlung seien sechs Säcke Gerstenmehl. Huttunen fand den Preis angemessen.
    »Sowie bei dir alles wieder läuft, schickst du mir das Mehl auf den Ouluer Bahnhof«, erklärte Happola. »Es eilt überhaupt nicht, aber bezahlen mußt du. Ich habe damals schließlich auch für die Schlüssel bezahlt. Und ich habe auch die anderen nicht umsonst rausge­ bracht.«
    Happola erzählte, er habe vor drei Jahren einer schwachsinnigen Frau aus der Klinik herausgeholfen, die danach immerhin die beliebteste Hure der Küstenge­ gend am Bottnischen Meerbusen geworden sei.
    »Sie war eine sehr hübsche Frau, allerdings ein biß­ chen unruhig. Jetzt wohnt sie in Oulu, aber sie arbeitet in Raahe und Kokkola und manchmal sogar in Pori. Sie hat mich für die Schlüssel anständig bezahlt. Also denk du auch daran, mir

Weitere Kostenlose Bücher