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Der heulende Müller

Titel: Der heulende Müller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arto Paasilinna
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Wasser einer fernen Quelle an ihm vorbeiführte. Hätte er ein schmerzendes Geschwür in der Brust ge­ habt, so dachte er bei sich, dann hätte man ihn in Ruhe leben lassen, man hätte ihn bedauert, ihm geholfen, ihn umsorgt. Aber daß sein Gemüt anders war, wurde nicht geduldet, sondern man verstieß ihn aus der menschli­ chen Gemeinschaft. Lieber wählte er jedoch die Einsam­ keit der Wildnis als das vergitterte Zimmer der Nerven­ klinik, wo ihn nur deprimierte und apathische Wracks umgaben.
    Eine Grauforelle oder Äsche sprang aus dem dunklen Fluß. Huttunen erschrak. Ein Wasserring trieb an ihm vorbei, zerplatzte und wurde von der Strömung aufgeso­ gen; es ging ihm durch den Sinn, daß er nun nicht mehr Brot und Speck essen würde wie in den Tagen als Mül­ ler, sondern seine Lebensgrundlage wären von jetzt an Fisch und Wild. Er tauchte die Hand in das kühle Was­ ser und stellte sich vor, er wäre eine Bachforelle, ein Exemplar von mindestens einem Kilo Gewicht. In seiner Phantasie schwamm er gegen den Strom, flitzte im flachen Wasser zwischen den Kieseln hindurch, ruhte sich kurz unter einem moosbewachsenen Stein aus, schlug mit dem Schwanz, öffnete die Kiemen, stieß durch die Wasseroberfläche, glitt aber sofort wieder in die Flut, mit dem Schwanz seinen Weg beschleunigend. Das strömende Wasser rauschte in seinen Kiemendek­ keln, als er den nächtlichen Bach hinaufschwamm. Doch dann bekam er Lust auf eine Zigarette, beendete fürs erste das Dasein als Fisch und fing statt dessen an, über sein Leben nachzudenken.
    Er fürchtete vor allem eines, nämlich daß er bei seinem Einsiedlerleben endgültig den Verstand verlieren könnte. Nachdem er lange in dieselbe Richtung geblickt hatte, war es ihm, als zöge sich ein blecherner Reifen um seine Stirn zusammen. Er mußte kräftig den Kopf schütteln, ehe der Druck nachließ.
    Er erhob sich, brach ein paar Erlenzweige ab, ohne zu wissen, warum, warf sie in den dunklen Bach und sagte zu sich selbst:
    »Unter diesen Bedingungen kann der Verstand drauf­ gehen.«
    Ernst trat er in sein Zelt. Durch seinen Kopf wirbelten alle möglichen Gedanken, einer immer sonderbarer als der andere, so daß er keine Ruhe fand. Erst als die Morgenvögel schon ihr Lied anstimmten, schlief Huttu­ nen für kurze Zeit ein. Dabei suchten ihn so schwere Träume heim, daß er beim Aufwachen in kalten Schweiß gebadet war.
    Er wusch sich im morgenkühlen Bach. Die Sonne war bereits aufgegangen. Wieder meldete sich der Hunger, doch Huttunens Stimmung hatte sich gebessert: Er war voller Energie und Tatendrang. In seinem Gehirn ent­ standen Pläne für sein Leben als Einsiedler.
    Für den Anfang würde Sanelma ihm Essen bringen, doch auf die Dauer konnte sie mit ihrem kleinen Gehalt keinen erwachsenen Mann in der Wildnis ernähren, das war ihm völlig klar. Er machte sich daran, ein Verzeich­ nis der Gegenstände aufzustellen, die sein Leben in den Wäldern erleichtern würden: eine Axt, ein Jagdmesser, ein Rucksack, Geschirr, Kleidung… all das würde er jetzt brauchen. Er beschloß, nach Suukoski zu gehen, um sich die notwendige Ausrüstung zu holen. Es war noch so früh am Morgen, daß ihn kaum jemand in der Mühle suchen würde. Er lief durch die Wälder, und am Ziel angekommen, zwängte er sich unter dem Gebäude in die Turbinenkabine und stieg von da durch die Luke nach oben.
    Er ging in seine Stube, öffnete den Schrank und holte den Rucksack heraus. Dieser war relativ neu, welch ein Glück, daß er ihn seinerzeit angeschafft hatte. Während des Krieges, besonders in der Rückzugsphase, hatte er stets den elenden Armeerucksack verflucht. Der war immer voller Zeug gewesen und hatte, besonders beim Laufen, gescheuert und gegen das Schlüsselbein gedrückt. Nichts hatte hineingepaßt, doch hatte er ein Gewicht gehabt wie der Teufel. Dieser neue Rucksack dagegen war geräumig und stabil, er hatte unter den breiten Schulterriemen dicke Filzpolster, außerdem einen Bauchgurt sowie eine Anzahl weiterer Riemen für die Befestigung von Gegenständen. Er war wie Geschirr und Decke eines kleinen Pferdes. Huttunen machte sich daran, den Rucksack zu füllen.
    Kochtopf, Kaffeekessel, Bratpfanne, Trinkbecher, Löffel, Gabel. Brauchte er noch mehr Geschirr? In die Seitentaschen des Rucksacks stopfte er zwei kleine Gefäße mit Zucker und Salz sowie je eine Flasche mit Kampfertropfen und Mundwasser. Außerdem steckte er Schmerzpulver ein – weitere Medikamente besaß er ohnehin nicht.
    Er

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