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Der heulende Müller

Titel: Der heulende Müller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arto Paasilinna
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Moltebeeren begannen Knospen zu bilden, bald würden sich daraus Früchte entwickeln. In diesem Sommer war eine gute Moltebeerenernte zu erwarten. Auch viele Heidelbeeren waren gereift. Jeden Tag pflückte sich der Einsiedler einen oder zwei Liter in eine Schale aus Birkenrinde. Abends nach dem Kaffee schmeckten ihm die Beeren vorzüglich.
    Huttunen genoß den Sommer und die Ruhe. Bei schönem Wetter zog er sich manchmal nackt aus, stieg auf den Berg und sonnte sich. Mit der zusammengeroll­ ten Hose unter dem Kopf lag er auf flechtenbewachse­ nen Felsen und ließ seine Haut von der Sonne bräunen. Er beobachtete die Wolken, die ständig ihre Form verän­ derten, und phantasierte sich die sonderbarsten Tierge­ stalten zusammen. Ein leichter Südwind hielt die Mük­ ken unten im Sumpf. Es war still, man konnte fast hören, wie sich die Gedanken in Huttunens Kopf gegen­ seitig begrüßten; es gab große Mengen davon, verrückte und gewöhnliche, ihre Wanderung durch seinen Schädel hörte niemals auf.
    Und wenn es regnete, lag er in seinem Unterstand und sah zu, wie die schweren Tropfen durch das Nadel­ dach sickerten. Das Feuer zischte, wenn sie in die heiße Asche fielen, es war warm und mild. Nach dem Regen bissen die Fische gut an – Huttunen brauchte nicht einmal das Netz auslegen, sondern die Grauforellen schnappten direkt am Ufer gierig nach den Fliegen.
    Nachts wachte Huttunen häufig auf, betrachtete den blassen sommerlichen Sternenhimmel und summte vor sich hin. Bald wurde das Summen zu leisem Wimmern, und dann brach das kräftige und wilde Geheul früherer Zeiten mit Macht aus seiner Kehle. Es beruhigte ihn. Wenn er heulte, fühlte er sich nicht mehr einsam – er konnte einer Stimme lauschen, die fremd war, denn es war die Stimme eines Tieres.
    Wenn er an heißen Tagen durch das baumlose un­ endliche Reutumoor wanderte, kam es manchmal vor, daß er Tiere nachahmte, jene Arten, die er täglich in seiner Umgebung gesehen und deren Verhalten er durchs Fernglas beobachtet hatte. Er trabte mit schau­ kelnden Schritten wie ein Rentierhirsch auf der Flucht vor Insekten, er krümmte sich, schnaubte und scharrte am Boden. Ein andermal breitete er die Flügel aus und erhob sich wie eine Wildgans wütend in die Lüfte, stieg höher und verschwand über dem Waldrand. Gleich darauf kehrte er als andere Gans aus der Ferne zurück, streckte die Füße aus und landete im Schilf eines Tüm­ pels, daß das modrige Wasser hochspritzte. Als Kranich reckte er den Hals, stieß Schreie aus und erspähte mit scharfem Blick Frösche und Sumpfhunde, jene schwarz­ rückigen Hechte, die die Frühjahrsflut ins Moor ge­ schwemmt und dort in den rostigen Wasserlöchern zurückgelassen hatte.
    Wenn die Kraniche das langbeinige Wesen sahen, das so schrie wie sie selbst, unterbrachen sie ihr Treiben. Sie reckten ihre langen Hälse und betrachteten mit schräggeneigten Köpfen den Einsiedler, der sich zu ihnen verirrt hatte und nicht begriff, daß es Kraniche waren, denen er einen Kranich vorspielte. Dann konnte es passieren, daß der Anführer der Schar den Schnabel hoch zum blauen Himmel reckte und einen langen, kräftigen Antwortschrei ausstieß. Erst dann kam Hut­ tunen zu sich, wurde wieder zum Menschen und wan­ derte heimwärts in sein Lager. Er lag rauchend im Zwie­ licht des Unterstandes und dachte bei sich, wenn das Leben so weiterginge, wäre alles gut.
    »Bloß Sanelma müßte noch hiersein.« 23
    Die Woche verging wie im Flug. Es kam der Abend, an dem Huttunen mit der Beraterin an der Wegkreuzung verabredet war. Der ungeduldige Einsiedler war lange vor der Zeit an Ort und Stelle. Er dachte an Sanelmas
    gesunden und üppigen Körper, an ihre blauen Augen, ihr goldenes Haar und ihre weiche, klangvolle Stimme. Neben der Landstraße legte er sich unter die Bäume. Die Zeit verging, die Mücken stachen, aber Huttunen be­ merkte es nicht, so aufgeregt erwartete er das Treffen.
    Gegen sechs Uhr abends sah er auf der schmalen Landstraße eine Frau auf einem Fahrrad näher kom-men. Es war Sanelma Käyrämö! Huttunen freute sich riesig. Er wollte ihr entgegenlaufen, besann sich aber und blieb im schützenden Dickicht. Sie hatten verabre­ det, sich im Wald zu treffen, und so zeigte er sich nicht auf der Straße.
    Die Beraterin erreichte die Kreuzung. Sie legte ihr Fahrrad in den Straßengraben und huschte in den Wald. Zaghaft und scheu um sich blickend legte sie etwa zwanzig Meter zurück. Dann blieb sie wartend

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