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Der heulende Müller

Titel: Der heulende Müller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arto Paasilinna
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an ein- oder zweimal täglich die Ausscheidungen des Ein­ siedlers fallen. Huttunen pflegte später häufig auch ohne Anlaß auf dem Balken zu sitzen und das endlose Moor zu betrachten, wo die Kraniche würdevoll stolzier­ ten, die Wasservögel auf schnellen Schwingen umherflo­ gen oder auch fünf oder gar zehn Rentiere auf der Flucht vor Insektenschwärmen davongaloppierten. Eines Tages glaubte er ganz hinten am Horizont einen Bären zu sehen. Dort bewegte sich ein großes graues Wesen, das sich hin und wieder aufrichtete und auf zwei Beinen stand. Als Huttunen mit seinem einäugigen Fernglas das weite, in der Hochsommerhitze flimmernde Moor absuchte, sah er nur Kraniche und keinen Bären. Hatte er inzwischen das Moor verlassen – hatte es ihn über­ haupt gegeben?
    Im Sumpfwiesengras schlug Huttunen ein paar Pfähle zum Netzetrocknen ein. Zum Zweck der Flußüberque­ rung baute er ein wendiges kleines Kiefernfloß, das er mit einer Stange vor dem Feuerplatz verankerte, so daß es gleichzeitig als Steg diente.
    Zu guter Letzt schnitzte er sich noch einen Kalender in eine Kiefer gegenüber dem Unterstand. Er schnitt eine Fläche von etwa zwei Hand Breite und drei Hand Höhe in den Stamm, hobelte sie glatt wie eine Tafel und unterteilte sie mit dem Messer in senkrechte und waage­ rechte Felder. Jeden Morgen würde er dort den Gang seiner Tage vermerken. Er wußte nicht mehr genau, an welchem Tag er mit dem Bau des Lagers begonnen hatte, doch er schätzte das Datum auf bald Mitte Juli. Er zählte die Tage seit Johanni, das er noch in der Ner­ venklinik verbracht hatte, und kerbte in den Stamm die Ziffer XII, der zwölfte Tag. Die Heidelbeeren begannen zu reifen, auch daraus konnte er Rückschlüsse auf das Datum ziehen.
    Es war ein klarer und heißer Juli. Beim Angeln war die Ausbeute geringer als zu Anfang des Frühjahrs oder im August. Die Edelfische waren jetzt satt und scheu, die Nächte noch zu hell und das Wasser der Bäche zu warm, es machte die kaltblütigen Bachforellen schläfrig. Huttunen probierte seine Fliegen aus, aber die Graufo­ rellen verschmähten sie. Mit dem Spinner fing er ein paar Hechte. In glühender Asche gegart, ergaben sie eine recht anständige Mahlzeit.
    Um einen fetteren Fisch zu fangen, brauchte er das Netz. Er zog es quer durch den Fluß und platschte stromabwärts im Wasser, so daß die Fische direkt hin­ einschwammen. Manchmal zappelten darin so viele Grauforellen und Äschen, daß er einen Teil hätte einsal­ zen können, doch besaß er keine Gefäße für diesen Zweck. Er war froh, daß er sich entschlossen hatte, seinen Hobel mitzunehmen. Im Herbst konnte er aus den abgestorbenen Föhren Bretter schneiden und Faß­ stäbe daraus hobeln. Ein paar kleine Vorratsfässer mit gesalzenem Fisch könnten das Ernährungsproblem im Winter lösen. In gutem Salz hält sich die Bachforelle, auch wenn sie ein fetter Fisch ist.
    Huttunen plante außerdem, sich für den Winter eine Sauna und eine kleine Hütte zu bauen. Er hatte keine Lust, bei winterlichem Frost im Unterstand zu bibbern.
    »Davon kriegt man Rheumatismus.« Die Hütte sollte nach seinen Vorstellungen klein wer­
    den, mit einer Abmessung von höchstens drei mal drei Metern. Als Einrichtung würden eine Bettstelle und ein Tisch genügen, vielleicht in der Ecke noch ein Schrank und an der Wand ein Rentiergeweih als Kleiderhaken.
    Hinten im Raum würde er aus flachen Steinen einen Herd mauern. In die Wand neben der Tür käme eine Fensteröffnung.
    »Die Glasscheibe muß ich mir irgendwo besorgen, auch ein paar Meter Blechrohr für den Schornstein. Dachpappe brauche ich nicht, Birkenrinde tut es auch und hält bestimmt ein paar Jahre.«
    Huttunen machte von seinem Lager aus lange Spa­ ziergänge in die Umgebung. Oft stieg er auf den Gipfel des Reutubergs und betrachtete durch das Fernglas das Kirchdorf mit seinen kleinen Häusern und den beiden Kirchen, der alten und der neuen, der kleinen und der großen. Bei klarem Wetter und zur richtigen Zeit konnte er im Blau des Sommertages am westlichen Horizont den Rauch erkennen, der aus der Lokomotive des Schnellzuges aufstieg. Vom Zug selbst sah und hörte er nichts, doch aus der Richtung, in die der Rauch wehte, konnte er schließen, ob der Zug aus Kemi oder aus Rovaniemi kam, ob die Reisenden auf dem Weg nach Lappland waren oder dieses bereits gesehen hatten.
    In den morastigen Randzonen des Reutumoores pflückte Huttunen saftige Moosbeeren vom vorigen Herbst. Auch die

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