Der heulende Müller
gereizt aus dem Haus. Er hatte Gummistiefel an und trug seine Arzttasche in der Hand. Sanelma Käyrämö hatte ihn also alarmiert.
Ervinen kurbelte sein Auto an und fuhr in schnellem Tempo in Richtung Kantojärvi davon. Sowie er außer Sichtweite war, kam Huttunen aus dem Wald und versuchte es mit der Haustür. Sie war verschlossen. Huttunen mußte durch das Kellerfenster eindringen.
Drinnen im Haus rannte er als erstes ins Kaminzim mer, um sich eine anständige Jagdwaffe auszusuchen. Er hatte reiche Auswahl – an der Wand hingen eine Flinte, ein Kleinkalibergewehr, ein Elchgewehr, ein Stutzen sowie eine kombinierte Waffe mit zwei Läufen, einem für Schrot und einem für Kugeln. Huttunen ent schied sich für den Stutzen. In der Schreibtischschub lade fand sich dafür reichlich Munition. Das leichte Gewehr entsprach Huttunens derzeitigem Bedarf. Not-falls konnte er damit einen Elch erlegen, doch war es auch nicht zu schwer, um Vögel zu schießen.
Er beschloß, gleich noch ein paar andere Ausrü stungsgegenstände mitzunehmen. Er wollte nicht eigent lich stehlen – er würde dem Arzt irgendwann bei pas-sender Gelegenheit die Verluste ersetzen. Jetzt kannte die Not kein Gesetz, denn draußen in der Wildnis war er ohne anständige Ausrüstung verloren. Hier war alles vorhanden, wer konnte ihn also hindern, sich zu neh men, was er brauchte? Der Kommissar und die Dorfbe wohner, Ervinen voran, hatten ihm alles weggenommen. Nun tat er dasselbe, das war alles.
Ervinen besaß einen ausgezeichneten Rucksack, bes ser als der, den man Huttunen gestohlen hatte. Einem Arzt stand natürlich auch ein besserer zu als einem gewöhnlichen Müller. Die Angelgeräte waren ebenfalls zweckmäßig. Fliegen hätten es gern mehr sein können, aber die Auswahl an Blinkern war hervorragend. An Campingausrüstung war so viel vorhanden, daß die Wahl schwerfiel. Huttunen stopfte den Rucksack voll, holte aus dem Schlafzimmer noch eine dicke Decke, rollte sie zusammen und schnallte sie obendrauf. An der Wand hing ein stark vergrößerndes neues Fernglas, das er einsteckte. Ein Kompaß und eine Kartentasche mit maßstabgenauen Karten der Gegend gingen ebenfalls in seinen Besitz über.
Als alles Notwendige eingepackt war, ließ Huttunen noch einmal den Blick schweifen, wie man es vor Ver lassen des Hauses zu tun pflegt, um sicherzugehen, daß man nichts vergessen hat. Ihm kam der Gedanke, daß es vielleicht höflich wäre, eine Botschaft auf dem Tisch zurückzulassen, wer das Haus geleert hatte und warum. Aber dann dachte er an die gründliche Zerstörung sei nes eigenen Lagers. Wütend verwarf er seine Absicht:
»Dort draußen im Moor hat auch keiner einen Ent schuldigungszettel hingelegt. Soll der Quacksalber mal am eigenen Leib spüren, wie so was ist. Warum mußte er mich auch für verrückt erklären!«
Huttunen verließ das Haus auf demselben Weg, auf dem er gekommen war. Lautlos verschwand er im Wald, umrundete das Dorf und nahm Kurs auf den Kemifluß. Es war ratsam, sich für die kommende Nacht auf die
Westseite des großen Stromes zurückzuziehen, denn in der Gegend um den Reutuberg würde man sicher nach ihm suchen.
Der Kemifluß war an dieser Stelle nicht mit einer öf fentlichen Fähre zu überqueren, der Einsiedler mußte sich am Ufer ein Boot suchen. Er ruderte hinüber und versteckte das Boot an der Mündung eines Baches im Dickicht. Dann ging er ein paar Kilometer landeinwärts bis zu einem dichten Fichtenwald, wo er, eingewickelt in Doktor Ervinens Decke, übernachtete. Am Morgen kehr te er zum Boot zurück, nur mit dem Gewehr und ein paar Handvoll Munition ausgerüstet. Er schob das Boot ins Wasser.
»Jetzt ist die Bank dran.«
Wie ein Geist schlich er sich durch die Wälder von hinten an das Geldinstitut des Dorfes heran. Es war so früher Morgen, daß die Bank noch nicht geöffnet hatte. Huttunen beschloß, auf den Beginn der Geschäftszeit zu warten. Vorsorglich lud er das Gewehr.
Sowie die Bank öffnete, ging Huttunen mit dem Ge wehr in der Hand hinein. Die Angestellten erschraken, der Oberbuchhalter sauste pfeilgeschwind ins Hinter-zimmer, um Direktor Huhtamoinen herbeizurufen. Die an der Kasse zurückgebliebene Kontoristin war weiß im Gesicht und litt Todesängste. Ein geistesgestörter Mann, der mit einem Gewehr in die Bank kommt, erweckt begründete Unruhe. Huttunen schoß jedoch nicht um sich, sondern erklärte der Angestellten ruhig:
»Ich will mein Sparguthaben abheben. Alles,
Weitere Kostenlose Bücher