Der Hexenschwur: Roman (German Edition)
wusste sie, wo Johann geblieben war. »Hoffentlich verrotten ihre Knochen in ungeweihter Erde«, flüsterte sie bissig.
Karoline holte tief Luft, denn sie spürte, wie sie sich aufregte. »Ich will nicht mehr an sie denken. Nie wieder will ich mich ihrer erinnern«, schwor sie sich, als sie auf dem Hof ein Pferd schnauben hörte. Sie ging zum Fenster und blickte hinaus. Am Stalltor stand ihr Mann und tastete die Beine der Stute ab. Karoline spürte, wie ein Stich durch ihren Körper ging. Jodokus, dachte sie glücklich. Doch das gute Gefühl hielt nur wenige Herzschläge an, dann erstarrte sie wieder. Jodokus war der einzige Mann, der jemals ihr Herz berührt hatte. Der einzige, dem sie sich voller Zuneigung hingeben konnte. Sie hatte ihn auf einem Viehmarkt kennengelernt, und wie ein Blitzschlag war die Liebe durch ihr Herz gefahren. Da er zuerst nicht wusste, wer sie war, glaubte sie an die Ehrlichkeit seiner Gefühle und heiratete ihn. Ihr Leben schien mit der Geburt ihres Sohnes vollkommen zu sein.
Was habe ich alles auf mich genommen, um sein Kind zu empfangen, dachte Karoline traurig. Nachdem ihre Ehe drei Jahre lang kinderlos geblieben war, hatte sie keinen anderen Rat gewusst und war mitten in der Nacht zu der alten Hebamme gegangen, die ihre letzte Hoffnung war. Anschließend schluckte Karoline wochenlang das bittere Kraut, das ihr die Hebamme gab. Sie hatte nach dem Geschlechtsakt stets die Beine in die Luft gehalten, damit Jodokus’ Samen tief in ihr Becken gelangen konnte. Anschließend hatte sie Kerzen angezündet, gebetet, gebangt und gehofft. Ein Jahr später lag der kleine Michael in ihren Armen. Niemals würde sie die leuchtenden Augen ihres Mannes vergessen, als die Hebamme ihm den Jungen gezeigt hatte. Jodokus vergötterte seinen Sohn und trug seine Frau auf Händen. Endlich waren sie eine Familie, und Karoline ging in ihren Mutterpflichten auf. Doch dann waren die Dämonen gekommen und hatten ihr gesundes und schönes Kind gestohlen und statt seiner den Wechselbalg in die Wiege gelegt. Karoline zweifelte nicht, dass nur die Hebamme den Dämonen verraten haben konnte, welch vollkommenes Kind ihr Michael war. Und da schon länger das Gerücht im Dorf umging, dass die Alte mit dem Teufel im Bunde stehe, bezichtigte Karoline sie der Hexerei. Vergeblich hatte sie gehofft, dass Berta unter der Folter die Dämonen bitten würde, die Kinder zurückzutauschen. Zwar hatte die Hebamme gestanden, sich der Zauberei zu bedienen, doch die Dämonen kamen nicht, um ihren hässlichen Krüppel zu holen und Michael zurückzubringen.
Warum sollten sie auch?, dachte Karoline. Sie haben meinen schönen Jungen und ich ihren hässlichen Balg. Es schüttelte sie, wenn sie an das sabbernde Wesen im Keller dachte. Dieses Dämonenkind konnte nicht richtig stehen, nicht gehen, nicht sprechen. »Wie kommt es dazu, mich Mutter zu nennen?«, schimpfte sie laut. »Woher kennt es das Wort?« Zwar hatte sie manchmal geschrien, dass Michael wegen ihm ohne seine Mutter aufwachsen müsse. War dieser Balg so schlau, dass er sich dieses Wort hatte merken können? »Mutr!« , wiederholte Karoline, grunzend wie das Dämonenkind, das Wort. »Mutter – ich wäre gern die Mutter meines Kindes«, wimmerte sie, und ihre Gesichtszüge verhärteten sich aufs Neue.
Karoline dachte an den Tag der Hinrichtung und an den Hexenschwur, den die Alte damals über sie gelegt hatte. Bis heute lief ihr bei dem Gedanken daran ein Schauer über den Rücken. Seitdem wurde sie nicht nur von den Nachbarn, sondern auch von vielen anderen Leuten in Hundeshagen gemieden. Die Menschen bekreuzigten sich dreimal, wenn es sich nicht vermeiden ließ, mit der Verfluchten zusammenzutreffen. Karoline wusste auch, dass über sie geredet wurde. Erst unlängst hatte sie mehrere Frauen beim Waschen beobachtet und bemerkt, wie die geschwätzige Josefine ständig zu ihrem Bauernhaus geschaut und den anderen Frauen über den Hexenfluch berichtet hatte. Karoline wusste, dass es so gewesen war, denn sie hatte Abscheu in Josefines Gesicht erkennen können.
Sie wischte sich müde über die Augen und blickte zum Fenster hinaus auf den Hof, wo Jodokus die Stute in den Stall führte. Wieder einmal wurde Karoline bewusst, wie sehr sich auch ihr Mann verändert hatte, wie sehr er unter den Umständen litt. Seine einst kräftige Statur war gekrümmt, seine Schultern hingen herab, und sein Haar war ergraut. Trotzdem fühlte sich Karoline immer noch zu ihm hingezogen, selbst wenn er
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