Der Hexenschwur: Roman (German Edition)
»Nicht nur der Kummer über den Verlust unseres Kindes, auch die Folgen dieses unsäglichen Kriegs haben uns alle frühzeitig altern lassen«, jammerte sie verhalten.
Karoline wusste, dass es vielen noch schlechter ging als ihr. Durch die anhaltenden Kämpfe und die wiederkehrenden Plünderungen, aber auch wegen der hohen Abgaben, die viele Ortschaften leisten mussten, um den Krieg mitzufinanzieren, waren die Menschen ausgesaugt und verarmt. Auch sie kannte die Berichte über grausame Vorkommnisse, die von Ort zu Ort weitergetragen wurden und denen kaum jemand Glauben schenken wollte – und doch wusste jeder, dass sie wahr waren. Erst vor Kurzem hatte man sich erzählt, dass einige Ortschaften entfernt ein Mann eine frische Leiche ausgegraben habe, da seine Familie am Verhungern gewesen sei. Ebenso sollten vielerorts Hunde, Katzen, selbst Ratten und Mäuse in den Kochtöpfen der darbenden Menschen gelandet sein. Außerdem hieß es, dass Menschen sich gegenseitig die Köpfe einschlugen, um etwas zu essen zu haben. Aber diesen Berichten wollte Karoline nicht glauben. »Das wäre Mord«, flüsterte sie und schüttelte sich.
Immer wieder versuchten die Menschen, ihrem Schicksal zu entgehen. So hofften manche Männer, dass das Leben in einem Heer besser sei, und verließen ihre Familien. Auch der Gedanke, dass ein Esser weniger am Tisch das Überleben der anderen sichern würde, trieb sie fort. Doch recht bald merkten sie, dass sie sich geirrt hatten. Die meisten von ihnen wurden getötet, andere verwundet oder verstümmelt. Auch an der Front wurde die Verpflegung knapp und der Sold nicht mehr ausgezahlt. Ihre Körper waren ausgemergelt, sodass sie zum Opfer von Seuchen wurden.
Ihre Frauen und Kinder, die zurückblieben, mussten zusehen, wie sie ohne Mann und Vater zurechtkamen. Ebenso wie die Kranken, Schwachen und Alten. Frauen bestellten die Felder und zogen die Pflüge, da sie weder Pferd noch Ochse besaßen. Schon die Kleinsten mussten bei der Feldarbeit helfen, denn niemand konnte geschont werden.
Auch der einst reichste Hof der Umgebung, das Bonner’sche Gehöft, litt unter den Folgen des Kriegs. Die Truhe mit Geld, die Karoline von ihrem Vater für Zeiten der Not anvertraut bekommen hatte, war längst leer. Das Gesinde war fort, das meiste Vieh geschlachtet und ihr Saatgut rar, sodass die Ernte kaum ausreichte, um auch nur einen kleinen Teil davon zu verkaufen.
Karoline schlug mit der Stirn gegen das Fensterglas und lachte dabei spöttisch auf. »Was war ich ein verwöhntes Kind gewesen«, murmelte sie. »Niemals hätte ich auch nur einen Gedanken daran verschwendet, dass ich eines Tages selbst im Stall stehen, melken und misten würde.« Sie trat einige Schritte zurück und band sich das Tuch im Nacken enger. »Solch ein Gedanke wäre ebenso abwegig gewesen wie der, dass dieser verdammte Krieg über sechzehn Jahre anhalten würde«, schimpfte sie leise. Jede Bewegung fiel ihr schwer. Eine tiefe Müdigkeit erfasste ihren Körper, sodass sie mit schleppenden Schritten zur Tür ging. Sie hatte kaum Kraft, die Türklinke nach unten zu drücken. »Es nutzt nichts! Die Kuh muss gemolken werden«, murmelte sie und trat hinaus in die Kälte.
Mit steifen Beinen ging sie über den Hof, als Jodokus das Pferd aus der Scheune führte.
»Ich muss mit dem Gaul nach Worbis zum Schmied. Es kann spät werden«, sagte er und marschierte zum Hoftor hinaus.
Karoline nickte, obwohl ihr Mann es nicht mehr sah.
Jodokus brachte die Stute zur Schmiede, die am Rand des Ortes gelegen war.
»Warst schon lange nicht mehr hier«, brummte der stämmige Mann und besah sich die Hufe. »Sie sind viel zu lang. Kein Wunder, dass alle vier Eisen auf einmal locker sind«, schimpfte er und sah Jodokus vorwurfsvoll an.
»Ich bin nicht der Einzige, der den Hufbeschlag so lange hinauszögert, bis es nicht mehr geht, Götz. Auch wir müssen sparen. Wenn die Hufe der Stute nicht zu weich wären, würde ich sie barfuß laufen lassen. Aber innerhalb kurzer Zeit würde sie lahmen und wäre zu nichts zu gebrauchen«, versuchte Jodokus sich zu verteidigen.
»Dann tausch die Mähre gegen ein anderes Pferd mit besseren Hufen«, schlug der Schmied spöttisch vor.
»Du weißt, dass es in der Umgebung kaum noch Pferde gibt. Die meisten sind alte Klappergäule, und die guten behalten die Besitzer selbst.«
»Halte mir kein Gespräch, sondern sage mir, wie du den Hufbeschlag zahlen willst. Ich fange nicht eher an, als bis das geklärt ist«, sagte
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