Der Hexenturm: Roman (German Edition)
langen Brombeerranken, die ihm Hals, Gesicht und Hände zerkratzten. Stöhnend blieb er am Ende der Treppe liegen. Als er versuchte aufzustehen, jagte ein fürchterlicher Schmerz durch seinen Körper. Servatius befühlte seinen Arm, der seltsam abstand, und er wusste, dass er gebrochen war. Nur unter großer Qual konnte er sich erheben. Als er zur Treppe hochblickte, glaubte er einen Schatten am oberen Ende stehen zu sehen, der ihm zuwinkte.
»Du bekommst mich nicht!«, flüsterte er mit schmerzverzerrtem Gesicht und schleppte sich vorwärts. Zwar versuchte er seinen gebrochenen Arm mit dem gesunden abzustützen, trotzdem kam er nur mühsam vorwärts. Die Schmerzen drohten ihm die Sinne zu rauben. Servatius stolperte vorwärts. Loses Gestein unter seinen Füßen ließ ihn erneut straucheln. Er presste den gebrochenen Arm eng an seinen Körper, und es gelang ihm mit großer Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Keuchend rang er nach Luft.
Über einen Holzsteg passierte er einen Bach und erklomm auf der anderen Seite einen Hang. Schweiß rann ihm über das Gesicht und brannte in seinen Augen. Es war nun stockdunkel, und Servatius hatte jegliche Orientierung verloren.
Außer Atem blieb er stehen. Sein Herz pochte heftig. Plötzlich glaubte er im Dunkel wieder mehrere Schatten ausmachen zu können, die auf ihn zukamen und die ihn ansprachen. Wahnsinnig vor Schmerzen schrie er: »Ihr könnt Maria ausrichten, dass sie mich nicht bekommt! Ich bin stärker als sie. Ich werde aus diesem Wald herausfinden.«
Als Servatius sah, wie die Schatten ihre Flügel hoben und auf ihn zuschwebten, drehte er sich um, lief los und stürzte einen Abhang hinunter.
Servatius blieb regungslos in der Senke liegen und starrte zu den Baumkronen, wo er nichts als Schwärze erkennen konnte. Er spürte, wie Blut aus seiner Schläfe sickerte. Sein Bein war verdreht, und aus dem gebrochenen Arm stach der Knochen hervor. Doch er spürte keinen Schmerz. Leichtigkeit umgab ihn. Als sich eine schwarze Gestalt über ihn beugte, flüsterte er: »Du bekommst mich nicht, Maria!« Dann atmete er ein letztes Mal ein und aus.
Die Gestalt schob die Kapuze zurück und schloss dem Toten die Augen. »Das habe ich nicht gewollt!«, sagte Ignatius mit leiser Stimme. »Er hat mich nicht hören wollen, obwohl ich ihn freundlich angesprochen habe.«
»Er scheint ein Franziskanermönch zu sein. Welch ein Verlust!«, klagte der jüngere Jesuit neben ihm. »Er hätte Burghard bei den Abschriften helfen können.«
Kapitel 29
Clemens kletterte flugs die Leiter empor, die an die Scheunenwand gelehnt war. Am anderen Ende des mit Stroh gedeckten Tennendachs saßen Johann und ein Knecht und besserten die Bündel aus, die durch die lang anhaltenden Regenfälle verfault waren.
»Johann!«, brüllte Clemens und fuchtelte wild mit den Armen. Der junge Mann erhob sich und blickte seinem Freund entgegen.
»Johann!«, brüllte Clemens erneut. Außer Atem stand er vor ihm und wartete, bis sich sein Herzschlag beruhigt hatte, dann klopfte er Johann auf die Schulter und sagte: »Es ist so weit!«
Als Johann ihn nicht verstand, rief Clemens lachend: »Frau Rehmringer hat nach der Hebamme geschickt!«
Johann riss ungläubig die Augen auf und rannte zur Leiter.
Als er im Gesindehaus ankam, herrschte emsiges Treiben. Die Hebamme, die mittlerweile eingetroffen war, rief in knappen Sätzen jedem ihre Befehle zu. Ohne abzuwarten, rannte Johann die Treppe hinauf und stellte sich Katharina in den Weg, die gerade die Tür seiner Kammer öffnen wollte. Atemlos fragte er: »Geht es Franziska gut?«
Die junge Frau trug ein Bündel weißen Leinens unter dem Arm und zuckte nur mit den Schultern. Furcht ließ Johanns Herz schneller schlagen.
»Sag, ob es ihr gut geht!«, forderte er erregt. In dem Augenblick kam Regina Rehmringer aus der Stube, in der Franziska in den Wehen lag.
»Was schreist du so?«, fragte sie. »Und was willst du überhaupt? Männer haben hier nichts zu suchen. Lass dir in der Küche einen Birnenschnaps geben, der beruhigt. Geh und steh uns nicht länger im Weg herum.«
»Ich will wissen, ob es Franziska gut geht!«
Die Hebamme, die doppelt so breit wie Johann war, baute sich vor ihm auf und sagte: »Wie gut kann es einer Frau gehen, die ein Kind auf die Welt pressen muss?« Dann drehte sie sich um und ging in die Kammer.
Johann stand wie betäubt auf dem Gang, als er eine Hand auf seinem Arm spürte.
»Geh in die Küche, Johann. Es wird schon gut
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