Der Hexenturm: Roman (German Edition)
obwohl hier Wilhelm Münzbacher beerdigt lag – ihr Ehemann -, der Mörder ihrer Eltern, der Wäscherin Marga und beinahe auch der ihres Bruders Clemens. Allein der Anblick der Grabstelle rief heftige Gefühle in der jungen Frau hervor. Trauer, Wut, Hass und Verzweiflung entluden sich in einer einzigen Geste: Mit voller Wucht trat sie gegen das Kreuz, so dass es anschließend schief im Boden stand. Anna wollte gerade noch einmal danach treten, als plötzlich Friedrich neben ihr auftauchte. Mit gesenkter Stimme sagte er ruhig zu ihr: »Lass gut sein, Anna. Er ist tot! Er kann dir nicht mehr schaden, nur du dir selbst, wenn jemand sieht, wie du hier wütest.«
Stumm setzte sich die Frau zurück auf die Bank und sah zu, wie der Arzt das Kreuz gerade rückte. Anschließend nahm er neben ihr Platz.
»Jeden Tag danke ich unserem Herrgott dafür, dass Wilhelm tot ist. Hoffentlich schmort er bis zum Jüngsten Gericht in der Hölle.«
»Anna! Sag so etwas nicht«, ermahnte Friedrich sie vorwurfsvoll. Die ungewohnte Härte in ihrer Stimme rief Besorgnis in ihm hervor.
Leise fuhr Anna fort: »Meine Mutter hätte heute ihren neununddreißigsten Geburtstag gefeiert. Doch dieser Mensch hat alles zerstört.«
»Sei froh, dass Clemens den Brand überlebt hat«, versuchte er sie zu trösten.
»Pah! Du hast doch sein entstelltes Gesicht gesehen.« Vorwurfsvoll, als ob er daran schuld wäre, sah sie den jungen Arzt an und fügte hinzu: »Und mein Bruder kann nicht bei mir sein. Wer weiß, ob ich ihn je wiedersehen werde. Warum sollte ich froh sein? Ich bin allein.«
Friedrich versuchte sie zu besänftigen: »Ach Anna, du weißt, dass du nicht allein bist. Ich werde immer für dich da sein.«
Als sie nicht antwortete, fügte er hinzu: »Auch Clemens wird nicht für immer fort sein. Wenn genügend Zeit verstrichen ist, wird er zu dir zurückkehren.«
»Aber wann? Wann, Friedrich, wird das sein? Wenn ich alt und grau bin? Und was ist, wenn der Meuchelmörder ihn zu fassen bekommt?«
»Anna, Clemens ist auf dem Weg ins Hessenland. Woher soll der Mörder das wissen? Und so schlimm seine Verletzung im Gesicht auch sein mag, sie hat doch auch etwas Gutes. Der Meuchelmörder wird Clemens nur schwer erkennen können. Vielleicht lässt er sogar von Clemens ab, wenn er erfährt, dass Wilhelm tot ist.« Friedrich versuchte Zuversicht in seine Stimme zu legen. Doch die junge Frau vergrub ihr Gesicht schluchzend in den Händen. Friedrich blickte sich um. Als er niemanden sehen konnte, legte er zaghaft den Arm um ihre Schultern. Sofort presste sie ihren Kopf an seine Brust und weinte. Sachte drückte er ihr einen Kuss auf den Scheitel. Als sich Annas tränennasses Gesicht ihm entgegenstreckte, zögerte er nicht lange und küsste sie leidenschaftlich. Hungrig öffneten sich ihrer beider Lippen. Friedrich schmeckte ihre salzigen Tränen und hörte ihr Herz laut pochen. Nichts und niemand zählte in diesem Moment für die beiden Liebenden, nur ihr Gefühl füreinander. Dabei übersahen sie vollkommen den Mann, der sich unbemerkt hinter einem breiten Grabstein erhob und davonschlich.
Adam Hastenteufel hatte genug gehört. Zufrieden ging er zum Dorfbrunnen und erfrischte sich mit kaltem Wasser. Vier Tage hatte er auf diese Gelegenheit gewartet und deshalb vier Tage in der sengenden Hitze zugebracht. Aber es hatte sich gelohnt, und das allein zählte. Auch dieses Mal hatte sein Scharfsinn ihn nicht im Stich gelassen. Und erneut hatte sich erwiesen, dass man nur eines besitzen musste, um die richtigen Hinweise zu erhalten: Geduld!
Er war wie ein Jäger, der tagelang auf der Lauer lag, um das Wild zu erlegen – nur, dass seine Beute sich auf zwei Beinen fortbewegte. Hastenteufel war es einerlei, was er jagte, genauso, wie es ihn nicht kümmerte, ob Krieg oder Frieden herrschte. Auch spielte es für ihn keine Rolle, dass sein Auftrageber mittlerweile das Zeitliche gesegnet hatte. Münzbacher hatte ihn bereits entlohnt, und deshalb würde er den Auftrag ausführen – einerlei, wie lange es dauern würde.
Hastenteufel war unter seinesgleichen berüchtigt. Man schätzte ihn, weil er mit Sorgfalt vorging und man sich auf ihn verlassen konnte. Ihm eilte der Ruf voraus, dass er sich erst zufriedengeben würde, wenn die Beute zur Strecke gebracht wäre. Und das war dieses Mal nicht anders, das war er sich und Münzbacher schuldig.
Kapitel 5
Franziska wurde in den frühen Morgenstunden durch ein gleichmäßig wiederkehrendes Geräusch
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