Der Hexenturm: Roman (German Edition)
Männer. Dann sagte einer: »Und ich habe so einen großen Aal gefangen«, und breitete dabei seine Arme in ganzer Länge aus.
Clemens musste an sich halten, um nicht laut loszuprusten, als der Alte mit der Pfeife sich plötzlich ihm zuwandte: »Das glaubst du nicht, Bursche. Das letzte Wildschwein, das ich erlegt habe, war so groß wie eine Kuh!«
Als Burghard kurz darauf zurückkam, saß Clemens bereits wieder auf seinem Pferd. Bevor sie losritten, rief er den Männern schmunzelnd zu: »Ich glaube, ich habe soeben auf einer Lügenbank gesessen.«
Gemächlich ritten Clemens und Burghard über die Felder Richtung Püttlingen. Sie umgingen den Ort und galoppierten nach Schwarzenholz. Als das Dorf vor ihnen lag, spürte Burghard ein sonderbares Gefühl in der Magengegend, und er überlegte, was es sein könnte. »Ich weiß nicht, Clemens, mir krampft sich der Magen zusammen, als ob etwas passiert wäre.«
»Ach was!«, wiegelte der Freund ab. »Das bildest du dir nur ein. Wir haben ein unglaublich gutes Geschäft getätigt, und ich bin auf Frau Rehmringers Gesicht gespannt, wenn wir ihr davon berichten. Komm, lass uns rasch nach Hause reiten.«
Je näher Burghard Wellingen kam, desto heftiger wurde der Druck in seinem Magen. Endlich ritten sie durch das Tor des Rehmringer-Gestüts.
Sogleich wurden sie vom Stalljungen begrüßt, der ihnen die Zügel der beiden Pferde abnahm. Burghard blickte sich besorgt um. Alles schien ruhig zu sein. Sicherlich hat Clemens Recht, und mein Magen zwickt nur, weil ich hungrig bin, beruhigte er sich und folgte Clemens und dem Burschen in die Küche.
Franziska stand am Herd und rührte eine Suppe. Sie sah nicht auf, als Clemens und Burghard eintraten. Magdalena lag in ihrem Weidenkorb und strahlte die beiden Männer an, als sie sie erblickte. Ihr Patenonkel nahm sie sofort auf den Arm und schmuste mit ihr. »Du bist gewachsen!«, stellte er lachend fest. Er blickte zu Franziska in der Erwartung, dass sie etwas sagen würde, doch sie rührte krampfhaft weiter im Topf, ohne die beiden anzusehen.
Burghard schloss die Augen. »Was ist passiert?«, fragte er mit heiserer Stimme.
Erst jetzt wandte sich Franziska ihnen zu. Als Clemens ihr tränennasses Gesicht sah, legte er das Kind zurück in den Korb. Weinend erzählte die junge Frau ihnen, was sich zugetragen hatte.
Burghard ließ sich kraftlos auf einen der Hocker am Tisch fallen, während Clemens Franziska in den Arm nahm.
»Wo ist Johann?«, wollte er wissen.
»Er ist mit Frau Rehmringer zu Pfarrer Schnetter gegangen. Gemeinsam wollen sie beratschlagen, was zu tun ist.«
»Ich bringe ihn um!«, presste Burghard hervor und stieß den Hocker vor sich zur Seite. Ohne ein weiteres Wort rannte er hinaus.
»Ich muss hinter ihm her, bevor er noch eine Dummheit begeht!«, rief Clemens und eilte ebenfalls hinaus.
Burghard lief durch die wenigen Gassen von Wellingen und suchte nach Paul. Keiner, den er ansprach, hatte ihn gesehen oder wusste, wo er abgeblieben war. Als er ihn nirgends finden konnte, rannte Burghard zum Pfarrhaus. Als er um die Ecke bog, traute er seinen Augen nicht. Der Knecht stand im Pfarrgarten vor einem geöffneten Fenster und schien ein Gespräch im Inneren des Hauses zu belauschen. Burghard vermutete, dass der Pfarrer, Regina Rehmringer und Johann in der Pfarrstube miteinander sprachen.
Leise wie ein Jäger schlich sich Burghard an Paul heran. Er packte ihn am Genick und warf den völlig überraschten Knecht zu Boden. Dann begann er wie ein Wahnsinniger auf ihn einzuprügeln. Pauls Lippe platzte auf, und Blut floss heraus. Der Knecht jammerte und bat um Gnade, doch Burghard schlug wie besessen weiter zu. Erst als Clemens ihn mit aller Kraft zur Seite zog und Pfarrer Schnetter, der aus dem Haus geeilt war, beruhigend auf ihn einsprach, ließ er von seinem Opfer ab und zügelte sich. Regina Rehmringer stand mit ernster Miene daneben.
»Warum?«, schrie Burghard. »Warum?«, flüsterte er schließlich und sackte weinend zusammen. Johann versuchte ihn zu trösten, doch er stieß ihn fort.
Paul erhob sich und stand wankend vor ihm. »Sie ist eine Hexe! Ich habe ihre funkelnden Augen gesehen. Auch der Amtmann wird das bezeugen!«
Bevor einer der Umstehenden ihn davon abhalten konnte, war Burghard aufgesprungen und hatte Paul mit einem Kinnhaken niedergestreckt.
Sie ließen den Knecht besinnungslos liegen, und Pfarrer Schnetter führte Regina Rehmringer, Johann, Clemens und Burghard ins Pfarrhaus.
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