Der Hexenturm: Roman (German Edition)
ihr jemand näherte, entfuhr ihr ein gellender Schrei, und sie verlor die Besinnung.
Als Katharina langsam wieder zu sich kam, lag sie auf feuchtem Boden und wusste im ersten Augenblick nicht, wo sie sich befand. Doch rasch kehrte die Erinnerung zurück. Ihr Herz schlug schneller, denn nun wusste sie, dass sie in dem Verlies nicht allein war. Nachdem ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah sie sich vorsichtig um. Weit über sich konnte sie eine kleine Öffnung im Mauerwerk erkennen, durch die ein schwacher Lichtstrahl und ein Lufthauch zu ihr nach unten drangen.
Der Geruch, der Katharina vom Boden in die Nase stieg, war abscheulich. Angewidert setzte sie sich auf.
»Hast du dich verletzt? Geht es dir gut?«, fragte eine Stimme.
Katharina blickte in die Richtung, aus der die Stimme kam. Schwach konnte sie die Umrisse von vier Frauen erkennen, die dicht an die Mauer gekauert auf dem Boden saßen. »Wie kann es einem an solch einem fürchterlichen Ort denn gut gehen?«, entgegnete Katharina bitter.
»Auch wir sitzen nicht zum Vergnügen hier«, sagte eine der anderen Frauen. Katharina hörte, wie ein junges Mädchen leise anfing zu weinen.
»Sei ruhig, Margreth! Greinen ändert deine Lage auch nicht!«, blaffte eine der Älteren das Mädchen an.
»Ich habe nichts getan!«, jammerte Margreth schniefend. »Nur weil Königsdorfer meine Verwandten wegen eines angeblichen Frevels verurteilt hat, heißt das nicht, dass ich ebenfalls schuldig bin!«
»Pah!«, zischte eine andere Frau. »Wie dumm bist du denn? Königsdorfer braucht keinen Grund, um jemanden anzuklagen. Er setzt sich über alle Gerichtsordnungen hinweg. Jeder Prozess füllt seine Taschen mit Geld, denn unsere Familien müssen für die entstehenden Prozesskosten aufkommen.« Leise fügte sie hinzu: »Bist du erstmal in seine Fänge geraten, ist dir der Feuertod gewiss!«
Katharina sprang auf und schrie: »Sei still! Ich bin in diesem Land weder geboren, noch habe ich Familie hier, die für mich zahlen wird. Ich bin unschuldig, und das wird sich bald herausstellen.«
»Von was träumst du, wenn du die Augen schließt?«, fragte eine andere Frau mit ruhiger Stimme. »Mir soll morgen der Prozess gemacht werden. Denkst du, dass irgendwer mich retten wird? Mich retten kann?«
»Weswegen sollst du angeklagt werden?«, fragte Katharina, die Mühe hatte, selbst ruhig zu bleiben.
Statt einer Antwort lachte die Frau laut auf. »Mir geht es wie dir! Auch ich sitze unschuldig im Hexenturm. Lange habe ich gegrübelt, was man mir vorwerfen könnte. Ich bin eine achtbare Frau, habe fünf kleine Kinder, die zu Hause auf mich warten. Ich habe weder Ehebruch begangen noch einen Menschen umgebracht oder schlechtes Zeugnis gegen andere abgelegt.«
»Was soll das Jammern?«, fragte die vierte Frau ungerührt. »Wir wissen doch, warum wir hier sitzen! Wir alle kommen aus ehrbaren Familien, die keine Not leiden. Unsere Familien stehen besser da als manch andere. Sie haben aber die Dummheit begangen, dem Amtmann Königsdorfer zu sagen, dass seine Abgaben Wucher sind. Unsere Väter, unsere Männer und unsere Brüder haben sich gegen ihn aufgelehnt und sich gegen die unrechtmäßige und viel zu hohe Türkensteuer gewehrt. Sie haben sich beim gnädigen Herrn beschwert und sich geweigert, diese Steuer zu zahlen. Andere taten es ihnen gleich, und Königsdorfer hatte nichts in der Hand, um gegen unsere Männer vorgehen zu können. Nun rächt er sich und versucht das Geld über die Kosten einzutreiben, die unsere Prozesse verursachen. Er will unsere Familien ruinieren und sie mundtot machen. Deshalb werden wir brennen«, erklärte sie ruhig.
»Türkensteuer?«, stammelte Katharina. »Was habe ich mit dieser Steuer zu tun? Ich bin nicht hier geboren!«, schrie sie erneut.
Sie sah, wie die Frau verständnislos den Kopf schüttelte. »Ich bin zwar eine einfache Bauersfrau«, erklärte die Fremde, »aber ich weiß, dass jeder Kopf im Land diese Türkensteuer ans Reich abgeben muss. Mein Mann erklärte mir, dass der Kaiser mit den Einnahmen ein Heer unterhält, das verhindern soll, dass die ungläubigen Türken in unser Land einfallen. Gegen die Steuer an sich ist auch nichts einzuwenden, aber der Amtmann in Püttlingen erhebt dafür Summen, die keiner mehr bezahlen kann. Und das aus dem einzigen Grund, um sich selbst daran zu bereichern.« Die Frau stand auf und streckte sich, bis einzelne Wirbel knackten. »Nun ist Königsdorfer aber aufgegangen, dass die
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