Der Hexenturm: Roman (German Edition)
Schluss legte Barnabas das Buch, in dem er sein Wissen über die Brauchkunst und das Heilen niedergeschrieben hatte, obenauf. Der dunkle Ledereinband war abgegriffen und speckig, was davon zeugte, dass der Magier das Buch oft in Händen hielt. Als alles verstaut war, schulterte er den Korb und nahm seinen Wanderstab auf.
Auch Servatius hängte sich seinen Korb über die Schulter. In ihm befanden sich die wenigen Habseligkeiten der beiden ungleichen Gefährten sowie ein kleiner Kochtopf, einige Schüsseln und für jeden ein Löffel und ein Messer. Barnabas reichte ihm seinen Beutel mit Wegzehrung und einen Wasserschlauch.
»Komm, Servatius, wir wollen weiterziehen! Wenn du nicht nach Marburg gehen willst, dann werden wir in eine andere Richtung marschieren müssen.«
Als sie im Westen über den Stadtgraben gingen und das Galgentor durchschritten, fragte Barnabas den Torwächter: »Sag, guter Mann, wenn ich mich nach rechts wende, wohin gelange ich dann?«
»Marburg!«, antwortete der Angesprochene wortkarg.
»Und nach links?«, wollte Barnabas wissen.
»Darmstadt!«
Der Magier zeigte wortlos mit seinem Stock nach vorn und blickte den Mann, der sich gelangweilt auf einen Speer stützte, auffordernd an.
»Wiesbaden!«
Nun bedankte sich Barnabas freundlich mit einem Kopfnicken und gab Servatius Zeichen, ihm zu folgen. Der Torwächter rief ihnen nach: »Geht ihr an der Weggablung nach links, kommt ihr nach Mainz!«
Barnabas hob dankend die Hand.
»Mainz? Kamst du einst nicht aus dem Kloster zu Mainz?«, fragte er Servatius. Der Mönch nickte.
»Möchtest du dorthin zurückkehren?«
Der Mönch blickte finster drein, und Zorn blitzte in seinen Augen auf, als er mit krächzender Stimme den Magier anfuhr: »Der Weg nach Mainz ist mir versperrt! Nie wieder werde ich dorthin zurückkehren können. Und alles nur, weil dieser unsägliche Burghard verschwunden ist.«
»Sag deinen Ordensbrüdern einfach, dass Burghard allein unterwegs ist. Wer will dir das Gegenteil beweisen?«
»Bruder Kuno wird im selben Augenblick wissen, dass es eine Lüge ist, kaum dass ich sie ausgesprochen habe.«
Fragend zog Barnabas eine Augenbraue in die Höhe.
»Burghard war der Lieblingsschüler Bruder Kunos, so wie eigentlich aller Brüder im Kloster«, giftete Servatius. »Weil er seine Eltern besuchen wollte, musste ich das Kloster verlassen und mit ihm gehen. Bruder Kuno, Bruder Paschalis und Bruder Ruppert haben ihn mir anvertraut. Niemals würden sie glauben, dass Burghard allein weiterziehen würde, ohne sich von ihnen die Erlaubnis zu holen.«
»Dann hast du in zweierlei Hinsicht versagt!«, schlussfolgerte Barnabas. »Katharina und Burghard sind dir fortgelaufen!«
»Wieso mir? Du hast den Eltern versprochen, dich um das Mädchen zu kümmern.«
»Ja, nachdem du den Eltern angeboten hast, Katharina zu begleiten und sie zu beschützen. Erinnere dich an deine Worte!« Spöttisch lächelte der Magier den Franziskanermönch an, der nichts zu entgegnen wusste. Als Servatius stumm blieb, bestimmte Barnabas: »Wir werden nach Mainz ziehen.« Erschrocken sah Servatius auf. »Keine Angst, wir werden nur an Mainz vorbeiziehen und dann der Straße nach Bingen folgen. Von dort können wir nach Kreuznach wandern.«
»Du scheinst genau zu wissen, wohin uns unser Weg führen soll«, unterbrach Servatius ihn. Barnabas nickte. »Es wird Zeit, wieder die Heimat aufzusuchen!«
Die Reise der beiden Männer verlief ohne besondere Vorkommnisse. Nur hier und da begegnete ihnen ein Wanderer oder ein Fuhrwerk. Auch das Wetter meinte es gut mit ihnen. Es war trocken, und die Sonne schickte ihre letzten wärmenden Strahlen auf die Erde. Manchmal hörte man noch einen Vogel zwitschern. Alles war ruhig und friedlich, bis Servatius’ Stimme die Stille durchbrach und er seinen Weggefährten ungestüm fragte: »Woher stammst du?«, »Und warum bist du fortgegangen?«, »Wann war das?«, »Ist es noch weit?« Unablässig wiederholte der Mönch seine Fragen, während Barnabas stumm den staubigen Weg entlangschritt und dabei den Kopf gesenkt hielt. Stur schaute er weder nach rechts noch nach links und erst recht nicht in Richtung des Mönchs. Als Servatius sich beklagte, dass Barnabas ihm kaum Beachtung schenkte, blieb der Magier stehen und hob den Blick.
»Ich wüsste nicht, was ich dir zu erklären habe«, sagte er und sah Servatius dabei kalt an. Bevor der Mönch etwas erwidern konnte, setzte der Magier seinen Weg fort. Hastig folgte ihm der
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