Der Hexenturm: Roman (German Edition)
sich deshalb so weit wie möglich vom elterlichen Gehöft entfernt hatte und in einem sicheren Versteck seine Wunden pflegte. Aus diesem Grund hatte Hastenteufel den Bereich um das Gestüt nur nachlässig abgesucht und sich stattdessen jedes leer stehende Gebäude, jede Höhle und jedes Erdloch in der Umgebung von Dingelstedt vorgenommen. Als seine Suche erfolglos geblieben war, war er durch Wiesen und Wälder gestreift und hatte hinter jedem Busch und Baum nachgesehen, der als Versteck dienen konnte. Unermüdlich war Hastenteufel kreuz und quer übers Eichsfeld geritten. Von Keffershausen nach Silberhausen und von Küllstedt nach Büttstedt. In jedem kleinen Ort hatte er nach Clemens gefragt und den Leuten eine rührige Lügengeschichte erzählt, damit sie ihm bereitwillig Auskunft gaben. Doch der junge Arnold war wie vom Erdboden verschwunden.
Hastenteufel hatte sich auf seiner Suche schließlich schon in die Nähe von Mühlhausen begeben, als er einsah, dass er zurückreiten und Münzbacher Bericht erstatten musste.
Erschöpft von der tagelangen vergeblichen Suche hatte Hastenteufel von einem Hügel hinunter zu dem Gehöft der Arnolds geblickt und zum wiederholten Mal alle seine bisherigen Überlegungen geprüft. »Vielleicht sind meine Gedanken in die falsche Richtung gegangen, und der Bursche wurde so schwer verletzt, dass er sich nicht weiter schleppen konnte als aus der Scheune heraus. Vielleicht ist er aber inzwischen auch schon verreckt.«
Hastenteufels Blick suchte gezielt die Umgebung nach einem brauchbaren Versteck ab. Doch alles, was sich als Unterschlupf eignete, befand sich in unmittelbarer Nähe zum Hof.
Münzbacher hätte ihn längst aufgespürt, wäre er noch auf Arnoldschem Boden. Vielleicht hat er das sogar, und ich mache mir unnötige Mühe, überlegte Hastenteufel.
Die Sonne hatte auch an diesem Tag ungnädig vom Himmel gebrannt, so dass ihm der Schweiß in dicken Perlen auf der Stirn stand und ihm das Hemd am Körper klebte. »Wenn er tatsächlich tot ist, würde seine Leiche bei der Hitze bestialisch stinken und nicht lange unentdeckt bleiben«, murmelte Hastenteufel vor sich hin und wischte sich mit der Hand über das Gesicht.
Als in der Ferne zwischen den Bäumen etwas glitzerte, vermutete er, dass am Ende des Dorfes ein Teich sein musste. Der Gedanke an ein erfrischendes Bad belebte ihn. Mit leichtem Schenkeldruck lenkte er sein Pferd den Hang hinunter. Und tatsächlich lag am Fuß des Hanges in eine Lichtung eingebettet ein kleiner See. Hastenteufel sah sich um, und als er niemanden entdecken konnte, entkleidete er sich und war mit einem Sprung im Wasser untergetaucht. Nach dem erfrischenden Bad legte er sich zum Trocknen an die Uferböschung. Als er plötzlich Stimmen vernahm, versteckte er sich hinter mehreren großen Felsbrocken und entdeckte dabei im feuchten Morast eine Schleifspur. Nachdem die Stimmen nicht mehr zu hören waren, untersuchte Hastenteufel die Spur genauer und folgte ihr bis zum Ufer. Der Boden am Rand des Sees war mit unterschiedlichen Fußabdrücken übersät. Gezielt durchsuchte Hastenteufel die Uferböschung. An manchen Stellen waren Pflanzen umgeknickt und bereits vertrocknet, andere waren abgetrennt oder mit der Wurzel aus dem Boden gerissen worden. Zwar war er in Kräuterkunde nicht bewandert, aber er wusste, dass man Adlerfarn zur Linderung von Brandverletzungen einsetzte. Und ebendieser war zuhauf entfernt worden.
Als Hastenteufel zwischen zwei Steinen ein angesengtes Stück Leinen fand, schlug er sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Adam Hastenteufel«, schalt er sich, »was bist du doch für ein stümperhafter Narr!« Fassungslos starrte er auf die vertrockneten Pflanzen. »Unnötige Zeit habe ich vergeudet, weil ich nicht gründlich nachgedacht habe.« In Gedanken stellte Hastenteufel sich vor, was sich Wochen zuvor an der Uferböschung abgespielt haben musste: Der Bursche hat drüben am Ufer gelegen und seine Wunden im Wasser gekühlt. Jemand hat ihn gefunden und ihn hier hinter die Steine gezogen, deshalb die Schleifspur. Scheinbar hat er schwere Verletzungen davongetragen, sonst hätte man nicht eine solche Menge an Adlerfarn benötigt. Könnte eine Frau ihm geholfen haben? Nein, sie wäre nicht fähig gewesen, einen Mann von der Uferböschung hinter die Steine zu ziehen. Es muss ein Mann gewesen sein, jemand, der sich zudem mit Kräutern auskennt. Ein Gelehrter? Ein Arzt? Es könnte aber auch ein Bauer gewesen sein, der seine Wunden
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