Der Hexenturm: Roman (German Edition)
gerät. Schweißperlen bedecken deine Stirn, wenn du dich schnell bewegst. Ich bin nicht blind, Barnabas!«
»Ich verstehe nicht, was du mir sagen willst, Servatius. Ich bin nicht mehr der Jüngste, das ist wohl wahr, aber ich bin noch lange nicht bereit, diese Welt zu verlassen.«
Beide blickten sich übellaunig an. Plötzlich verzog sich das Gesicht des Jüngeren. Er sah aus wie ein Kind, dem man sein Spielzeug weggenommen hatte. Trotzig stülpte er die Unterlippe vor.
»Ich weiß, dass du es vorgezogen hättest, Burghard zu deinem Nachfolger zu machen. Aber weshalb kann ich es nicht werden – jetzt, wo er fort ist?«
»Servatius, du bist in der Kräuterkunde bewandert, hast sie im Kloster gelernt. Somit kannst du helfen und heilen. Das Brauchtum ist besonders und den Magiern vorbehalten. Nur uns Zauberern ist es gestattet, das Brauchen einzusetzen.« Zornig sprang der Mönch auf, baute sich vor Barnabas auf und blickte auf ihn herab.
Das ist keine gute Ausgangslage für mich, dachte der Magier in dem Wissen, dass er nicht schnell genug auf die Beine kommen würde, sollte Servatius auf ihn losgehen.
»Du lügst! Brauchen kann jeder! Ich bin nicht dumm, alter Mann, ich weiß, dass es verschiedene Brauchtümer gibt, selbst die Kirche hat ihre eigenen. Aber die interessieren mich nicht! Ich will die der Zauberer lernen!«
»Warum?«
Servatius schwieg. Sein Blick, mit dem er den Magier von oben herab bedachte, sagte mehr als jedes Wort.
»Macht!«, flüsterte Barnabas. »Du denkst, als Zauberer hast du Macht über die Menschen!«
Servatius kam näher, kniete sich auf einem Bein vor Barnabas hin und sah ihm fest in die Augen. Sein Gesicht kam so dicht, dass der Magier jeden Pickel, jede Pore erkennen konnte. Als ihm der faulige Atem ins Gesicht schlug, musste er sich beherrschen, um nicht den Kopf abzuwenden.
»Bringst du mir das Brauchen bei?«, fragte Servatius mit erregter Stimme.
»Nie und nimmer«, flüsterte Barnabas. »Eher bringe ich dich um!«
Servatius holte aus, um auf ihn einzuschlagen, doch Barnabas hatte damit gerechnet und hob im selben Augenblick seinen Wanderstab in die Höhe. Noch bevor ihn Servatius’ Faust treffen konnte, schlug er dem Mönch das dickere Ende des harten Holzstabs gegen die Schläfe. Geräuschlos sackte dieser in sich zusammen und bewegte sich nicht mehr. Mühsam erhob sich Barnabas von seinem Lager.
Der Magier saß am Feuer, trank Sud und starrte in die Flammen, als Servatius wieder zu sich kam. Ohne ihn anzusehen, sprach Barnabas: »Ich werde dich die Brauchkunst nicht lehren, merk dir das.«
»Warum nicht?«, schrie Servatius und hielt sich den Kopf, in dem der Schmerz pochte.
»Weil du sie gegen Menschen verwenden würdest!«
Kapitel 10
Zum ersten Mal in seinem Leben zweifelte Adam Hastenteufel an seinen Fähigkeiten. Kein noch so kleiner Hinweis blieb ihm für gewöhnlich verborgen, doch in diesem Fall irrte er nun schon seit Wochen durchs Hessenland, ohne zu wissen, wo er den jungen Arnold suchen sollte. Niemand, den er unterwegs fragte, hatte den Burschen gesehen oder von ihm gehört, und dabei würde ein durch hässliche Brandnarben entstellter Mann sofort auffallen. Wo war Clemens Arnold geblieben?
Hastenteufel saß müde und mit verstaubter Kleidung auf seinem Pferd, das zwischen anderen Reisenden auf der Handelsstraße trottete. Da er wusste, dass irgendwo vor ihm die freie Handelsstadt Wetzlar lag, wollte er dort rasten und sich ein heißes Bad sowie ein wenig Vergnügen gönnen.
Wochenlang habe ich auf freiem Feld und im Wald genächtigt. Es wird Zeit, dass ich mir etwas Abwechslung leiste, sagte er sich und griff sich in Erwartung der Wonnen zwischen die Schenkel. Der Weg bis Wetzlar war noch weit, so dass er in Ruhe über die vergangenen Wochen nachdenken konnte. Er musste endlich wissen, was er übersehen hatte!
Hastenteufel war ein Auftragsmörder. Wilhelm Münzbacher hatte ihn angeheuert, gegen eine stattliche Summe seinen Schwager Clemens vom Leben in den Tod zu befördern. Als Münzbacher ihm nach dem Brand mitteilte, dass der junge Arnold den Anschlag überlebt hatte, hatte Hastenteufel ihn beruhigt und ihm versichert, dass er seinen Schwager bald finden würde.
Hastenteufel war davon ausgegangen, dass Clemens Arnold keine lebensbedrohlichen Brandverletzungen davongetragen hatte, denn sonst hätte er der Flammenhölle wohl nicht entkommen können. Er vermutete, dass die Verletzungen dennoch schmerzhaft waren und dass der Bursche
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