Der Hexenturm: Roman (German Edition)
durch das Reich führte.
»Wir könnten von Frankfurt nach Marburg gehen und dort zum Grab der heiligen Elisabeth wallfahren«, schlug er versöhnlich vor.
Servatius hatte sich von dem Schreck tags zuvor noch nicht erholt und wagte es kaum, Barnabas in die Augen zu blicken. »Was interessieren mich die Gebeine der Elisabeth?«, murrte er heiser. »Ich bin nicht Katharina, die dem Leben der Heiligen nacheifert.«
»Katharina!«, flüsterte Barnabas. Seit Wochen hatte er nicht mehr an das Mädchen gedacht. Was wohl aus ihr geworden ist? Ob sie noch mit Burghard unterwegs ist?, fragte er sich in Gedanken. Barnabas hatte das Mädchen mit den dicken blonden Zöpfen gemocht. Nicht nur ihr Liebreiz war erfrischend gewesen, auch ihr starker Wille hatte großen Eindruck auf ihn gemacht. Als sich die Gelegenheit bot, hatte Katharina sich gegen ihre Eltern gestellt und ihr Schicksal selbst entschieden. »Sind wirklich erst wenige Monate vergangen, seit das Mädchen Hand in Hand mit Burghard im Wald auf dem Hülfensberg verschwand?«, sinnierte der Magier. Ungläubig schüttelte er den Kopf und lachte leise in sich hinein. »Welch beherzte junge Frau sie doch ist!«
In den Erinnerungen des Magiers tauchte die farblose Gestalt Ottos auf, des Ehemanns von Katharinas verstorbener Schwester, den sie auf Geheiß der Eltern hatte heiraten sollen. Er hätte ihr sicherlich untersagt, im Sinne der heiligen Elisabeth Gutes zu tun, grübelte Barnabas. Bei dem Gedanken an Katharina nagte das schlechte Gewissen an ihm. Schließlich hatten die Jacobis ihm die Verantwortung für ihre Tochter übertragen. Er sollte sie wohlbehalten von der Wallfahrt auf den Hülfensberg nach Hause zurückbringen, doch stattdessen war das Mädchen verschwunden, ohne dass Barnabas es verhindern konnte. Damals hatte er es als seine Pflicht angesehen, nach der jungen Frau zu suchen, befürchtete er doch, dass die Eltern die Miliz nach ihm schicken würden, sobald sie von dem Verschwinden ihrer Tochter erführen. Je eher er das Mädchen nach Heiligenstadt zurückbrachte, desto weniger Scherereien würde er zu erwarten haben. So hatte sich Barnabas mit Servatius auf die Suche begeben. Ihnen war rasch klar gewesen, dass Katharina und Burghard das Eichsfeld und somit Thüringen in Richtung Hessenland verlassen würden. Da der Fluss Werra als natürliche Grenze zwischen beiden Ländern verlief, konnten sie aber nur mit einem Boot auf die andere Seite kommen – dessen war sich Barnabas sicher. So durchsuchte er mit Servatius jeden einzelnen Ort an der Werra, und stets hoffte der Magier, die Flüchtigen noch rechtzeitig zu finden. Als ihn im Städtchen Wanfried das Gefühl beschlich, beobachtet zu werden, glaubte er, dass Katharina in der Nähe war. Immer wieder hatte er den Blick über die Menschenmengen schweifen lassen, die sich durch das Stadttor drängten, er hatte sie aber nicht entdecken können. Und doch war ihm, als könne er ihre Anwesenheit spüren.
Bis in den Ort Eschwege, der ebenfalls am Fluss lag, waren sie gereist. Als dort Hexenprozesse stattfinden sollten, baten die Stadtväter Barnabas um Hilfe. Da, wie die Leute glaubten, nur ein Magier fähig wäre, den Schadenszauber aufzulösen, den Hexen über Mensch und Tier verhängt hatten, konnte er dem Rat seine Hilfe nicht verwehren und musste einige Tage in Eschwege verweilen. So verlor Barnabas die Spur von Katharina und Burghard, und es blieb ihm nicht anderes übrig, als in einem Brief Katharinas Eltern die Wahrheit mitzuteilen. Ihnen persönlich alles zu erklären, dazu war er nicht imstande gewesen, zumal er befürchten musste, dass sie ihn zur Rechenschaft ziehen würden. Aus dieser Angst heraus hatte er mit Servatius ebenfalls das Eichsfeld verlassen und zog seitdem durch Nassau.
Barnabas seufzte. Wir müssen weiter, dachte er und richtete sich von der Bank auf, auf der er eine kurze Rast im Schatten einiger Bäume am Ufer des Mains eingelegt hatte. Doch zuvor wollte er sich noch stärken. »Komm, Servatius!«, lockte er den Mönch. »Ich lade dich zu einer Vesper und einem Schoppen Äppelwein ein.«
Zurück in ihrer kleinen Kammer am Hafen, begann der Magier seine Utensilien sorgfältig zu ordnen. Er legte den Boden seines Tragekorbs mit Leinenbeuteln aus, in denen sich verschiedene Kräuter befanden. Tiegel mit Salben und Glasfläschchen mit unterschiedlichen Flüssigkeiten schichtete er darüber. Dazwischen stopfte er Kräutersäckchen, um das Glas vor Bruch zu schützen. Zum
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