Der Hexenturm: Roman (German Edition)
Pferdekenner gerade verstorben ist. Als ob der Teufel persönlich meinen Plan durchkreuzen wollte!«
Der Amtmann von Wellingen ging in seiner Schreibstube auf und ab und überlegte. Dann blieb er stehen und fragte den Mann, der ihn um eine Haupteslänge überragte: »Du hast sie noch nie zuvor gesehen, Paul?«
»Nein«, antwortete Paul mit heller Stimme, die nicht so recht zu seinem wuchtigen Körper passen wollte.
»Du weißt nicht, woher sie gekommen sind?«
Wieder verneinte der Mann.
Von Baßy setzte seine Wanderung zwischen Schreibtisch und Tür fort und blieb dann erneut stehen. Bis jetzt hatte der Amtmann mit leiser, beherrschter Stimme zu seinem Gegenüber gesprochen, der ihm von den fünf Fremden auf dem Rehmringer-Gestüt berichtet hatte. Doch da Paul auf seine Frage außer Schulterzucken und Kopfschütteln keine Antwort wusste, verlor von Baßy die Geduld. »Herrgott, Paul, irgendetwas musst du doch von ihnen wissen!«
»Sobald sie unter sich sind, sprechen sie einen Dialekt, den ich nicht verstehe«, verteidigte sich der Mann.
»Dann wirst du ihren Dialekt eben enträtseln müssen.«
Als Johann von Baßy Pauls Gesichtsausdruck sah, fügte er erregt hinzu: »Lass dir gefälligst etwas einfallen! Ich bezahle dich nicht fürs Schulterzucken.« Dann wurde der Ton des Amtmanns wieder sanfter: »Tu so, Paul, als seist du ihr Freund, und erschleiche dir ihr Vertrauen. Dann werden sie dir meine Fragen sicherlich beantworten.«
Der behäbige Mann schien immer noch zu zweifeln.
Von Baßy wusste, dass Paul kein kluger Kopf war, aber er war fügsam, und deshalb konnte der Amtmann ihn gut für seine Zwecke einsetzen.
»Du sagtest, dass eine Frau und einer der Männer verheiratet wären?«
Paul nickte. »Franziska und Johann sind ein Ehepaar.«
»Und die andere? Wie hieß sie?«
»Katharina. Sie ist nicht verheiratet«, antwortete Paul eifrig. Der Amtmann lächelte ihm verschwörerisch zu und schmeichelte: »Du bist ein stattlicher Mann, Paul. Siehst zudem gut aus, kannst mit beiden Händen zupacken – genau die Sorte Mann, die eine Frau begehrt. Umgarne Katharina! Verführe sie! Und nebenbei fragst du sie aus. Weiber plappern, sobald man ihnen zuhört. Ich muss wissen, woher sie kommen und warum sie von dort fort gegangen sind.« Scheinbar wohlwollend schlug von Baßy dem Mann auf den Rücken, denn weiter reichten seine Arme nicht. Plötzlich schlug die Kirchturmuhr die volle Stunde, so dass der Amtmann zusammenzuckte.
»Es ist schon spät. Geh zurück auf das Gestüt und halte Augen und Ohren offen. Beherzige meine Ratschläge und sei nett zu meiner alten Tante und zu den Fremden.« Von Baßy zog ein kleines Säckchen aus seiner Wamstasche und entnahm ihm zwei Münzen, die er Paul in die Hand drückte. »Für deine Bemühungen. Ich muss jetzt rüber nach Püttlingen reiten. Eine Frau, die nicht weiß, woher sie stammt, und unverständliches Zeug faselt, wurde dort in den Hexenturm gesperrt. Als ob ich nicht schon Sorgen genug hätte, muss ich mich jetzt auch noch um eine Irre kümmern und nachsehen, ob ich das Weib kenne. Es wäre eine Schande für Wellingen, wenn die Schwachsinnige aus unserer Gemeinde stammen würde.«
Der Amtmann setzte seinen schwarzen Filzhut auf und strich sich mit Daumen und Zeigefinger mehrmals über den rötlichen Spitzbart. Dann sagte er mehr zu sich selbst: »In sechs Wochen ist Heiligabend. Bis dahin will ich wissen, woher die fünf gekommen sind, damit wir sie dorthin zurückschicken können, wo sie hingehören. Ich werde meiner Tante sobald wie möglich meine Aufwartung machen. Wäre doch gelacht, wenn ich das Gestüt nicht bekommen würde! Johann von Baßy hat bis jetzt noch immer erreicht, was er wollte!«
Katharina schüttelte Frau Rehmringer das Kissen im Kreuz auf. »Sitzt Ihr so angenehm?«
»Danke, mein Kind.« Die schmale Gestalt der alten Frau verlor sich in dem riesigen Bett. Zart und gebrechlich lag sie zwischen den Laken und blickte Katharina aus tränennassen Augen an.
»Ihr dürft nicht weinen«, bat die junge Frau. In den zwei Wochen, in denen sie sich um die alte Frau gekümmert hatte, hatte Katharina sie in ihr Herz geschlossen. Regina Rehmringer war eine gütige, gerechte Frau, deren Lebenswille seit dem Tod ihres Sohnes gebrochen schien.
»Weißt du, dass ich Gott jeden Tag danke, dass er euch zu mir geleitet hat?« Katharina stand neben den Eichenpfosten des Baldachins und flüsterte: »Wir danken Gott ebenfalls, dass Ihr uns aufgenommen
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