Der Hexenturm: Roman (German Edition)
habt.« Nervös nestelte Katharina an der neuen Schürze, die ihr die alte Frau geschenkt hatte.
»Setz dich zu mir«, lud Regina Rehmringer Katharina ein und bedeutete ihr, sich neben sie zu setzen. Nur zögerlich kam die junge Frau der Bitte nach.
»Erzähl mir von deinem Zuhause.«
Bei der Bitte erstarrte Katharina für einen Augenblick. Fahrig strich sie sich eine Strähne zurück, um dann doch ohne Hemmungen zu berichten: »Meine Heimatstadt heißt Heiligenstadt, wo mein Vater eine gut gehende Töpferei besitzt. Meine Mutter erfindet ständig neue Muster, damit sich unsere ockerfarbene Werrakeramik von anderen Töpfereien unterscheidet. Bis nach Bremen werden die Becher, Schalen und Vasen verschifft.«
In Katharinas Stimme schwang Stolz mit. »Ich war ein unbeschwertes Mädchen, dem es an nichts mangelte«, fuhr sie nach einer kurzen Pause fort. »Niemals hätte ich vermutet, dass ich meine Familie eines Tages verlassen und heimlich weglaufen würde. Aber meine Eltern haben mir keine andere Wahl gelassen!« Mit traurigen Augen blickte sie auf. Als Frau Rehmringer Katharinas Hand nahm und sie drückte, schluchzte sie auf und sprach dann stockend weiter: »Nachdem meine Schwester Silvia im Kindbett verstorben war, wollten meine Eltern mich zwingen, meinen Schwager zu heiraten. Zwar hatte meine Schwester diesen Wunsch kurz vor ihrem Tod ausgesprochen, aber ich habe ihm nicht zugestimmt! Ich bin fest davon überzeugt, dass es nicht Silvias Wunsch war. Vielmehr hatte mein Schwager Otto ihr das eingeredet, weil er seine Kinder versorgt haben und sein Bett warm halten wollte. Meine Eltern und auch Otto wussten, dass ich einen anderen Lebenstraum habe.«
Erstaunt schaute Frau Rehmringer sie an.
»Kennt Ihr Elisabeth von Thüringen?«, fragte Katharina sie, und bei der Erwähnung der Heiligen erhellte ein Lächeln ihr Gesicht.
»Wer ist sie?«
»Elisabeth war eine Königstochter aus Ungarn, die im Alter von vier Jahren Hermann, dem Sohn des Herzogs von Thüringen, versprochen wurde. Doch Hermann starb, und so heiratete Elisabeth im Alter von vierzehn Jahren seinen Bruder Ludwig.«
»Diese Geschichte gleicht deiner!«, stellte Frau Rehmringer fest. Katharina nickte. »Aber Ludwig und Elisabeth sollen sich gemocht haben, was man von meinem Schwager und mir nicht behaupten kann«, fügte die junge Frau bitter hinzu. »Ludwig war oft auf Reisen, so dass Elisabeth in seiner Abwesenheit die Aufgaben der Regentin übernahm, die sie jedoch weder ausfüllten noch glücklich machten. In den Überlieferungen steht, dass tiefe Unruhe sie beherrscht haben soll, bis zwei Franziskanermönche ihr von den Lehren des heiligen Franz von Assisi berichtet hätten. Da habe Elisabeth den Sinn ihres Daseins erkannt, und sie führte fortan ein gottgefälliges Leben. Als in Thüringen eine Hungersnot ausbrach, ließ Elisabeth die landgräflichen Kornkammern öffnen. Auch verkaufte sie Kleidung sowie Stücke aus dem gräflichen Haushalt, um mit dem Erlös die Not der Armen zu lindern.«
Katharinas Wangen begannen sich zu röten. Dankbar sah sie, dass Regina Rehmringer ihr aufmerksam zuhörte. Eifrig setzte sie ihre Erzählung fort: »Als Elisabeths Mann Ludwig im Heiligen Land starb, war sie plötzlich vom Wohlwollen ihres Schwagers abhängig, dem ihr Mann vor Beginn des Kreuzzuges die Regentschaft übertragen hatte. Der Schwager verbot ihr sogleich den Umgang mit den Armen und die Verteilung von Almosen. Doch Elisabeth hielt sich nicht an dieses Verbot. Eines Abends wollte sie einen Korb voller Essen an den Wachmännern vorbei zu den Bedürftigen schmuggeln. Als der Wachmann sie fragte, was sie unter ihrem Mantel tragen würde, soll sie geantwortet haben: ›Einen Korb voller Rosen!‹ Der Wächter riss ihr den Umhang von den Schultern. Und tatsächlich – der Korb soll voller Rosen gewesen sein.«
Katharina blickte Frau Rehmringer in die Augen.
»Ich weiß nicht, ob sich die Geschichte mit den Rosen wirklich zugetragen hat. Aber ich weiß, dass die Landgräfin zeitlebens eine Frau war, die den Menschen geholfen hat. Da sie mein großes Vorbild ist und ich werden will wie sie, blieb mir keine andere Wahl, als meine Eltern zu verlassen. Auch wenn ich sie sehr vermisse.«
Regina Rehmringer lächelte der jungen Frau aufmunternd zu. »Ich bewundere dich, mein Kind, für deinen Mut und deine Entschlossenheit. Ich denke, dass deine Eltern das ebenso sehen. Eines Tages wirst du nach Hause zurückkehren, und sie werden dich mit offenen
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