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Der Hexenturm: Roman (German Edition)

Der Hexenturm: Roman (German Edition)

Titel: Der Hexenturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deana Zinßmeister
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erkennen und behandeln konnten. Vor allem aber hatte Martin Arnold seinen Kindern stets vermittelt, dass man vor jedem Tier Ehrfurcht haben sollte und ihm niemals Leid zufügen durfte. Immer wieder ermahnte er die beiden, wenn etwas schieflief: »Es ist der Mensch, der Fehler macht und versagt – nicht das Tier!« Das Arnoldsche Gestüt war weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt, und Clemens hatte dank der Lehren seines Vaters das nötige Selbstbewusstsein erworben, das vonnöten war, um ein Gestüt zu leiten.
    Nach dem Brandanschlag des Schwagers und den schweren Verbrennungen in seinem Gesicht kostete es Clemens große Mühe, sich seine Selbstsicherheit zu bewahren. Menschen, die ihm wegen seiner entstellten Gesichtszüge auswichen, verunsicherten ihn. Doch dann teilte Frau Rehmringer ihm mit, dass sie das Gestüt behalten wolle, und gedachte, ihm die Verantwortung zu übertragen. »Tu, was getan werden muss. Ich vertraue dir!«, hatte sie vom ersten Tag an gesagt und ihm freie Hand gelassen. Schlagartig war seine Zuversicht zurückgekehrt. Selbstbewusst ging Clemens an die Arbeit und erteilte Befehle, wie er es von zu Hause gewohnt war – sehr zum Unmut des Gesindes. Clemens trat zwar Knechten und Mägden mit Respekt entgegen, jedoch hatte er keine Scheu, seinen Standpunkt klar zu vertreten.
    Doch besonders die älteren Knechte auf dem Hof gehorchten ihm nur widerwillig. Clemens konnte die Kälte spüren, die ihm entgegenschlug. Er wusste, je eher die Fronten auf dem Gestüt geklärt waren, desto schneller würde Frieden herrschen.
     
    Clemens wollte mit dem Hufschmied keinen Streit. Versöhnlich erklärte er: »Ich will niemandem etwas Böses, Wolf. Möchte keinen von euch wegschicken müssen. Doch wenn ich merke, dass eine Zusammenarbeit nicht möglich ist, scheue ich mich nicht, hart durchzugreifen.«
    Mürrisch betrachtete der Hufschmied den jungen Burschen, der sein Sohn hätte sein können. »Ich mag dich nicht, Clemens, aber ich brauche diese Arbeit, damit meine Familie nicht hungern muss. Aus diesem Grund werde ich mich fügen und deine Anweisungen befolgen.«
    »Dann nimm der Stute die Eisen runter«, befahl Clemens.

     
    Jeden Morgen kam sich Burghard wie ein Schwachkopf vor, wenn er mit einem Tuthorn durch die Gassen von Wellingen ging und die Schweine rief: »Tuuut, tuuut! Macht die Gatter und Tore auf, lasst Säue und Ferkel raus!«
    Quiekend kam dann das Borstenvieh aus den Ställen gelaufen und folgte Burghard den Hoxberg hinauf, den er zusammen mit seinen Freunden erst vor kurzer Zeit überquert hatte, um nach Wellingen zu gelangen.
     
    An manchen Tagen war es besonders schwierig, die Herde zusammenzuhalten, da einer der Eber ständig stehen blieb. Ein Teil der Säue lief mit den Jungtieren weiter, während die anderen beim Keiler blieben. Burghard schlug dem Eber mit der Gerte auf den Rücken und versuchte ihn anzutreiben. Laut grunzend setzte er seinen Weg fort.
    Kaum hatte die Rotte den Wald erreicht, fingen sie sofort an, mit ihren Rüsseln den Waldboden umzupflügen und nach Eicheln, Schnecken, Würmern, Blättern oder Wurzeln zu suchen.
     
    Als Clemens Burghard mitgeteilt hatte, dass er die Arbeit des erkrankten Schweinehirten übernehmen sollte, hatte der Mönch sich entrüstet gewehrt. Da im Ort jedoch kein anderer Mann als Schweinehirt zur Verfügung stand, bat Frau Rehmringer ihn persönlich, die Arbeit zu übernehmen. Burghard blieb keine Wahl, als der Bitte nachzugeben. Er war von Stall zu Stall gegangen, hatte sich das Borstenvieh widerwillig angesehen und im Stillen gehofft, dass er untauglich für die Aufgabe war. Doch weil jede Familie ihren Schweinen ihr Zeichen eingebrannt hatte, um sie von anderen unterscheiden zu können, musste Burghard sich geschlagen geben. So zog er nun mit den Leitschweinen los und ärgerte sich täglich aufs Neue über das Gebimmel der Glöckchen, die ihnen um den Hals gebunden waren.
     
    An einem kühlen Dezembermorgen saß Burghard auf einem großen Stein und achtete darauf, dass die Tiere nicht auseinanderliefen. Verbittert starrte er in die Gegend und dachte über sein Leben nach.
    Vor nicht allzu langer Zeit war ich ein Franziskanermönch. Und nun? Ich hüte Schweine, was ebenso ein Kind oder ein Depp machen könnte, stöhnte Burghard. Ihm kam das Gleichnis vom verlorenen Sohn in den Sinn, das Lukas im Kapitel 15 des Evangeliums beschrieben hatte: Der jüngste von zwei Söhnen ließ sich vom Vater sein Erbe auszahlen und reiste als reicher

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