Der Hexenturm: Roman (German Edition)
Und jeder in Duderstadt hätte Verständnis, wenn ich mit solchem Pack kurzen Prozess machen würde.«
Harßdörfer kniff die Augen zusammen und betrachtete zuerst das Geld und dann seinen Neffen. Unerwartet stürmte er ein weiteres Mal auf Josef los und packte ihn an der Kehle.
»Du wirst dich doch wohl an meinem Geld nicht bereichert haben? Sagst du die Wahrheit?«
Josef nickte heftig mit dem Kopf. Er roch Harßdörfers sauren Atem und blickte ihm starr in die Augen. Das Licht brach sich in dem schwarzen Kreis des Augapfels seines Oheims und ließ ihn rötlich schimmern.
Er ist der leibhaftige Teufel, schrie Josef in Gedanken. Sicherlich will er mich verführen!
»Wenn ich erfahren sollte, dass du mich belügst, werde ich dir die Pest an den Hals wünschen!«
Voller Grausen versuchte sich Josef aus dem Griff seines Oheims zu befreien und wand sich wie ein gefangenes Tier. Endlich kam er frei und lief zur Tür, wo er kurz zurückschaute. Harßdörfer schien ihm wirr hinterherzublicken.
Hastig rannte der Junge aus dem Zimmer, den Gang entlang und hinaus in den Schnee. Seine Tante rief ihm nach, dass sie Suppe für ihn hätte. Doch er gab ihr keine Antwort – blickte nicht zurück. Vielleicht hat er sie auch verhext, dachte er und lief, so schnell ihn die Füße trugen. Erst am Ende der Straße hielt er schwer atmend an und lugte vorsichtig zurück. Erleichtert stellte er fest, dass weder Harßdörfer noch seine Frau ihn verfolgten. Auch sonst war zu dieser vorgerückten Stunde auf der Straße niemand zu sehen.
Josefs Herz schlug heftig. Er glaubte, dass es jeden Augenblick zerspringen würde. Um sich abzukühlen, nahm er eine Handvoll Schnee und rieb sich damit über das erhitzte Gesicht. »Was soll ich nur tun?«, jammerte er leise. »Sicherlich wird er mich holen kommen, wenn ich ihm nicht gehorchen werde.«
Als er hinter sich ein Geräusch hörte, rannte er hastig nach Hause.
Erschöpft saß Harßdörfer an seinem Schreibtisch und zählte die Münzen. Nicht einmal die Hälfte der geliehenen Summe hatten ihm die Schuldner zurückerstattet. »Vielleicht wird es sie mehr einschüchtern, wenn ich ihnen persönlich einen Besuch abstatte. Josef ist noch ein Kind. Vor ihm haben sie keine Achtung. Ich werde ihnen zeigen, dass ich mir von ihnen nicht auf der Nase herumtanzen lasse!«, überlegte er laut.
Josef lag schweißgebadet in seinem Bett und starrte in die Dunkelheit. Draußen heulte der Wind auf und peitschte den Schneeregen gegen das Fenster. Verängstigt zog er das Betttuch bis zur Nase, so dass nur noch die Augen frei blieben. Josef achtete auf jedes Geräusch im Raum. Hörte genau hin, ob seine beiden Brüder, die neben ihm lagen, auch atmeten. Immer wieder blickte er in ihre Gesichter, um sicherzugehen, dass sie sich nicht in teuflische Fratzen verwandelten. Doch beide schliefen ruhig und fest.
Josefs eigene Atemgeräusche hingegen klangen wie ein Dröhnen in seinen Ohren. Als das Gebälk unerwartet knarrte, versteckte er sich ganz unter der Decke und tauchte nur zögerlich wieder auf. Josef hatte große Angst, dass Harßdörfer auf einem Hexenbesen angeflogen käme und ihn mitnehmen würde. Erst nach Stunden schlief der Bursche ein und träumte von glühenden Augen, die auf einem Berg mit vielen anderen einen Tanz aufführten.
Einige Tage vor Heiligabend glaubte Harßdörfer, dass der Amtmann von Duderstadt, der ihn mit mehreren Stadtknechten in seinem Haus aufsuchte, sich einen Scherz erlaubte.
»Wiederhole, Dietrich, was du mir Ungeheuerliches vorwirfst«, brüllte Harßdörfer mit feuerrotem Gesicht.
Mit einem betroffenen Zug um den Mund erklärte der Amtmann: »Zwei Handwerker aus dem Umland haben dich angezeigt, Albrecht. Sie werfen dir vor, ihre Arbeiten sowie die Ernten mit dem Herbeizaubern von Unwettern vernichtet zu haben, damit sie bei dir Geld leihen mussten.«
»Das sind Irreführungen! Sie wollen mir mein Geld nicht zurückzahlen, und deshalb erzählen sie Lügengeschichten«, empörte sich Harßdörfer.
»Wir werden die Wahrheit ans Licht bringen, Albrecht, dessen kannst du gewiss sein. Kurfürst Johann Schweikhard von Kronenberg hat bereits vermutet, dass man dir Böses will, da es nur vereinzelte Beschuldigungen sind. Du wirst vorerst in deinem Amt bleiben.«
Das Weihnachtsfest stand bevor, und mit ihm kam die Angst. Wie jeden Adventssonntag besuchte Harßdörfer mit seiner Familie den Gottesdienst. Als sie gemeinsam die Servatiuskirche in Duderstadt
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