Der Hexenturm: Roman (German Edition)
nickte.
»Dann geht dich meine Familie nichts an!«, zischte er und knallte die Tür zu.
Verdutzt sahen sich Katharina und Paul an. Der junge Mann zuckte nur mit den Schultern und nahm den Wäschekorb wieder auf.
»Ich freue mich schon, wenn die Menschen von Wellingen im Frühjahr hinter ihren Öfen hervorkriechen«, sagte Katharina spöttisch und folgte Paul zum Gestüt.
Burghard musste sich sputen, denn es würde bald dunkel werden. Seit der Winter mit Schnee und Regen über das Land fegte, blieben die Schweine zwar in den Stallungen, trotzdem war der Bursche für sie verantwortlich. Mehrmals in der Woche ging er zum Hoxberg, wo er im Wald Laub sammelte, mit dem die Bauern die Ställe ausstreuten.
Burghard schaute nach oben. Der Himmel war grau verhangen und vermittelte das Gefühl, als würde der Tag nicht richtig hell. Selbst der Schnee änderte daran nichts.
Drei mit Blättern prall gefüllte Säcke lagen bereits auf dem Schlitten, ein weiterer war bis zur Hälfte voll. Den letzten Leinensack wollte Burghard mit Eicheln füllen, denn tief im Wald hatte er einen Platz entdeckt, der übersät war mit den Leckerbissen für die Schweine.
Während er die Blätter zusammenraffte, hörte er ein Käuzchen über sich schreien und erschrak. Ängstlich blickte er zu den Baumkronen.
»Verdammt«, schimpfte er mit sich, »den ganzen Tag über habe ich nicht an die Geschichte gedacht, doch jetzt ist sie wieder in meinem Kopf.« Wachsam sah er sich um.
Am Abend zuvor hatte einer der Knechte eine Geschichte erzählt, die Burghard jetzt noch Gänsehaut verursachte. In Gedanken hörte er die tiefe Stimme des Knechts, der von einem Geist berichtete, der, wie man sich sagte, sobald es dunkel wurde, über den Hoxberg wanderte.
Burghard brachte den vorletzten Sack zum Schlitten und stolperte über einen Grenzstein im Boden, der vom Schnee verdeckt war. Plötzlich glaubte er die Gegend zu erkennen. »Es muss sich genau hier zwischen den Wiesen und Äckern abgespielt haben«, murmelte er und erschauerte. Erneut hörte Burghard in Gedanken die Stimme des Knechts, der mit ernstem Gesicht am Abend zuvor erzählt hatte: »Einst lagen mehrere kleine Waldparzellen nebeneinander, die verschiedenen Bauern gehörten. Einer der Bauern war für seinen Geiz und seine Verschlagenheit bekannt, weil er seinen Grund und Boden mehren, aber kein Geld ausgeben wollte. Heimlich nachts grub der Bauer die Grenzsteine aus und versetzte sie zu seinen Gunsten. Bald darauf starb er, und Gottes Strafe ereilte ihn.« Mit großen Augen blickte der Knecht in die Runde und flüsterte: »Fortan muss der Bauer als Geist mit einem Grenzstein auf dem Rücken durch Äcker und Wiesen ziehen. Jeden, den der Geist trifft, fragt er: ›Wo soll ich den Stein hintragen?‹ Er hofft, dass ihm jemand den Platz nennen kann, wo der Grenzstein hingehört, und er so von seinem Fluch erlöst wird. Erst letzten Sommer haben mehrere Hirten den Geist des Grenzsteingängers im Tal gesehen, und auch ihnen hat er die Frage gestellt. Sie jedoch wollten ihn ärgern und haben geantwortet: ›Trag den Stein bis in alle Ewigkeit! ‹ Daraufhin konnten die Männer sich nicht mehr bewegen, und erst als der Morgen graute, waren sie wieder frei und konnten nach Hause laufen.«
Die Kerze auf dem Tisch hatte das Gesicht des Knechts schaurig beleuchtet, so dass keiner wagte, etwas zu sagen. Doch dann hatte Burghard all seinen Mut zusammengenommen und gefragt: »Kennt keiner die richtige Antwort für den Geist, damit er endlich wieder freikommt?«
Der Knecht hatte mit den Schultern gezuckt. »Ich kenne die Lösung nicht. Aber ich rate dir, wenn der Geist des Grenzsteingängers dir begegnen sollte, lauf, so schnell dich die Füße tragen, damit du nicht gebannt wirst. Wenn du die Nacht bei diesem Wetter bewegungslos draußen verbringen musst, wirst du erfrieren.«
Kreidebleich hatte Franziska gewispert: »Würde mir der Geist begegnen, riete ich ihm, dass er den Grenzstein dahin zurücktragen solle, wo er ihn hergeholt hat.«
Doch der Knecht hatte nur kopfschüttelnd gesagt: »Das ist reines Weibergeschwätz und zu nichts zu gebrauchen.«
Erneut hörte Burghard ein sonderbares Geräusch zwischen den Bäumen. Angsterfüllt blickte er sich um. »Es ist noch nicht dunkel genug, als dass ein Geist umherwandern könnte«, versuchte er sich zu beruhigen. Hastig ergriff er den letzten Leinensack und lief in den Wald zu den Bäumen, unter denen die Eicheln lagen. Er raffte
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