Der Hexenturm: Roman (German Edition)
betraten, verstummte das gedämpfte Gemurmel der Anwesenden. Harßdörfer schritt erhobenen Hauptes den Gang entlang. In der Reihe, in der Josef mit seinen Eltern saß, blieb er kurz stehen und sah den Jungen kopfschüttelnd an. Man hatte ihm zugetragen, dass angeblich der Neffe seiner Frau an den Vorwürfen Schuld habe.
Josef war kreidebleich geworden und wagte nicht, den Blick zu heben. Tatsächlich war er zu den Handwerkern gegangen und hatte ihnen von seinem Verdacht erzählt, dass Harßdörfer zauberische Handlungen vollzogen haben könnte. Der Bursche hatte nicht geahnt, was er auslösen würde, sahen die Handwerker doch jetzt eine Möglichkeit, sich vor den Zinszahlungen zu drücken. Denn sollte der Bürgermeister tatsächlich der Anschuldigung überführt werden, mit dem Teufel im Bunde zu stehen, würden sie nur den Kredit zurückzahlen, aber nicht den Wucherzins des Teufels.
Die Menschen in der Kirche starrten Harßdörfer an, als sei ein Schuldspruch bereits gefällt. Als er zu seinem Platz ging, tuschelten die Leute hinter seinem Rücken und blickten seine Familie boshaft an.
Albrecht Harßdörfer erinnerte sich später nicht, was der Pfarrer von der Kanzel gepredigt hatte. Seine Gedanken schweiften stetig ab. Er betete zu Gott, dass er ihm helfen möge und endlich Bonner mit der wahren Hexe nach Duderstadt schickte. Harßdörfer wusste nicht mehr ein noch aus. Aber er wusste, sollte man ihn öffentlich anklagen, würde die Veruntreuung des Geldes aus der Stadtkasse ans Licht kommen. Und das wäre der Anfang vom Ende.
Bereits eine Woche später erfuhr Harßdörfer, dass gegen ihn weitere Beschuldigungen vorlagen.
Der Richter Christoph Binser und der Notar Peter Bärsch wurden beauftragt, das Verhör mit dem Bürgermeister zu führen. Zwar bat Binser den Kurfürsten, ihn von dieser Aufgabe zu entbinden, da er als Harßdörfers Schwager in einem zu nahen Verhältnis zu ihm stünde. Doch seine Bitte wurde zurückgewiesen, was für Verwunderung sorgte. Obwohl bezeugt werden konnte, dass Harßdörfer zeit seines Lebens stets treu dem Kurfürsten Johann Schweickhard zu Kronenburg ergeben war und ihm ein gottesfürchtiger Lebenswandel nachgesagt wurde, schien sich alles gegen ihn zu wenden.
Harßdörfer glaubte, dass der einzige Ausweg die Flucht war. Und so verließ er mitten in der Nacht seine Heimatstadt.
Unterwegs wurde ihm rasch bewusst, dass er überstürzt gehandelt hatte. Bereits nach wenigen Stunden hatte man ihn eingeholt. Nur einen Tag später war Harßdörfer wieder in seinem Haus in Duderstadt, wo er unter Hausarrest gestellt und von Bürgern der Stadt bewacht wurde.
Kapitel 20
Katharina stand bis zu den Waden im eiskalten Wasser des Hessbachs. Obwohl sie den Rock geschürzt hatte, war das Leinen bis zum Bund durchnässt. Der Stoff klebte kalt auf ihrer Haut und ließ die junge Frau zittern. Die Kälte hinderte sie nicht, die Wäsche eifrig zu schrubben und zu reiben, bis sie sauber war. Anschließend klatschte sie die nassen Teile gegen einen großen flachen Stein.
Der Weidenkorb mit den frisch gewaschenen Sachen wog schwer, so dass Katharina ihn nur mühsam hochheben konnte. In diesem Augenblick kam Paul daher.
»Lass gut sein, ich werde den Korb für dich tragen«, sagte er und nahm ihn auf, als wöge er nichts.
»Da habe ich ja Glück gehabt, dass du in der Nähe warst«, freute sich Kathrina und strich ihre Haare unter das hell gestreifte Tuch zurück.
Paul antwortete nicht, sondern lächelte nur freundlich. Bereits vor Stunden hatte er beobachtet, wie die junge Frau zum Waschplatz außerhalb Wellingens gegangen war. Als er ihren gefüllten Korb gesehen hatte, kamen ihm die Worte des Amtmanns Johann von Baßy in den Sinn, der ihn aufgefordert hatte, Katharinas Vertrauen zu erschleichen.
Der junge Mann hatte überlegt, wie lange Katharina wohl für die Wäsche benötigen würde, und hatte sich rechtzeitig auf den Weg gemacht, um ihr seine Dienste anbieten zu können. Es war eine gute Gelegenheit, die junge Frau auf dem Rückweg ins Dorf auszuhorchen.
Während sie nebeneinander herschritten, fragte Paul arglos: »Wie gefällt es dir und deinen Freuden in Wellingen?«
Katharina blickte ihn kurz von der Seite an. Die hohe Stimme des Riesen überraschte sie immer wieder aufs Neue. Sie überlegte und wog ab. Schon mehrmals hatte das Gesinde versucht, sie oder ihre Freunde auszufragen. Sie hatten untereinander abgemacht, dass die Leute in Wellingen so wenig wie
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