Der Hexenturm: Roman (German Edition)
Boden, so dass Bonner von ständiger Düsternis umgeben war. Er reckte die Nase in die Höhe und versuchte frische Luft einzuatmen. Der Gestank nach seinem eigenen Unrat, nach Moder, Feuchtigkeit und auch nach Verwesung war kaum zu ertragen und erschwerte ihm das Atmen.
Simon, der Jäger, war gnädig gewesen und hatte Bonner zwei Tage nach seiner Einkerkerung mehrere Kerzen, Zunderschwamm und Feuerstein sowie eine Decke und einen Strohsack bringen lassen.
Zuerst hatte Bonner überlegt, den Strohsack anzuzünden, um sich an dem Feuer zu wärmen. Aber rasch war ihm klar geworden, dass die Freude daran nur von kurzer Dauer wäre und er anschließend auf hartem Grund schlafen müsste. Auch die Aussicht, dass jemand den hellen Rauch aus dem Kerker aufsteigen sehen und ihm vielleicht zu Hilfe eilen könnte, war kein ausreichender Grund, sein Lager zu vernichten. Mittlerweile roch das Stroh in dem Leinensack muffig und war durchnässt, so dass es nicht mehr glimmen würde.
Bonner fror erbärmlich. Feuchtigkeit und Kälte krochen in seine Glieder und bemächtigten sich seines Körpers. Seine Gelenke an Fingern und Füßen waren geschwollen und schmerzten. Auch quälte ihn trockener Husten. Seine Kehle war vom ständigen Bellen wund.
Der Bauer war sich sicher, dass in dem Verlies Ratten hausten. Des nächtens hatte er mehrmals das Gefühl, als husche etwas über sein Gesicht.
Mit müden Augen blickte Bonner nach oben. Er schlief kaum noch und wenn, dann unruhig, da schreckliche Träume ihn verfolgten. Als er sich an seinen Bart griff, lief ihm ein Schauer über den Rücken. Wie lange war er schon in diesem Kerker eingesperrt? Wie lange noch würde man ihn hier festhalten? Bonner hatte jegliches Zeitempfinden verloren. War bald der Heilige Abend, oder war das Fest schon vorüber? Verzweifelt schlug Bonner die Hände vors Gesicht. Die Zeit lief ihm davon. Was werden sie mit meinem Karolinchen machen, wenn ich die Hexe nicht rechtzeitig nach Duderstadt zurückbringe?, dachte er verzweifelt. Furcht schnürte seine Kehle zu.
Die ersten Tage hatte er um Hilfe geschrien, voller Hoffnung, dass ihn jemand hören würde. Doch schon bald hatte er keine Kraft und keine Stimme mehr gehabt.
Wenn ich nur wüsste, welcher verdammte Tag heute ist!, dachte er wütend.
Simon, der Jäger, hatte sich nicht mehr blicken lassen. Es war, als hätte man Bonner lebendig eingemauert, nur dass er regelmäßig mit Essen und Wasser versorgt wurde.
Zwei Burschen kamen jeden Tag zur gleichen Zeit. Während der eine die Schüssel und den Krug auf den Boden stellte, zielte der andere mit einer Lanze auf Bonner. Im Laufe der Zeit verloren sie ihre Angst vor ihm und verspotteten den jammernden Mann, der darum flehte, endlich gehen zu dürfen. Seine Fragen ließen sie unbeantwortet.
Je länger Bonner eingesperrt war, desto größer wurde seine Angst, den Verstand zu verlieren. Die Einsamkeit und die Ungewissheit belasteten sein Gemüt. Um sich abzulenken, zählte er laut die Steine der Kerkerwände.
Das Mauerwerk war feucht, und Wasser tropfte von den Wänden auf den Felsboden und sammelte sich in seinen Vertiefungen. Auf manchen Steinen wuchs dickes Moos. Andere waren von ekelhaftem Schleim überzogen. Bonner tippte jeden einzelnen Stein mit dem Finger an und ging so Reihe für Reihe durch, bis er sie nicht mehr greifen konnte.
Die Kerkertür quietschte. Langsam drehte sich Bonner um. Der Schein einer brennenden Fackel blendete ihn.
»Du siehst fürchterlich aus, Casper!«, sagte Simon, der Jäger. Als Bonner die Stimme des Jägers hörte, schloss er für einen Atemzug erleichtert die Augen. Er musste sich zusammenreißen, um nicht laut aufzuschluchzen.
»Lässt du mich jetzt gehen?«, fragte Bonner mit krächzender Stimme.
Simon schüttelte den Kopf. »Nein! Ich muss warten, bis Graf Wilhelm zurück ist. Du bist der Landstreicherei angeklagt.«
»Das ist eine Lüge! Ich bin ein reicher Bauer auf dem Eichsfeld und habe es nicht nötig, mich als Landstreicher bezeichnen zu lassen«, begehrte Bonner auf.
»Wir haben in deinem Zimmer im Gasthaus tatsächlich ein Säckchen voller Gold gefunden. Aber das kannst du auch gestohlen haben«, höhnte der Jäger.
Bonner wollte etwas erwidern, doch seine heisere Stimme hinderte ihn daran, und er musste husten. Simon wartete, bis sich Bonners Hustenanfall gelegt hatte, dann sagte er: »Der Bär hat ein neues Opfer gefunden. Wir haben eine Blutlache im Wald entdeckt, so groß,
Weitere Kostenlose Bücher