Der Hexenturm: Roman (German Edition)
möglich über sie erfahren sollten.
Sie musterte den Mann noch ein wenig und entschied, dass Paul diese Frage aus Höflichkeit gestellt hatte. Arglos sagte sie deshalb: »Ich habe außer dem Gestüt und dem Waschplatz noch nicht viel von dem Ort und seiner Umgebung gesehen. Bei der Kälte geht man nur vor die Tür, wenn man unbedingt muss.«
Paul lachte leise. »Ja, das ist wohl wahr. In den dunklen und kalten Wintermonaten verkriechen sich die Leute meist hinter ihren Öfen. Aber sobald der Frühling sich ankündigt, kommen sie wieder hervor. Da, wo ihr herkommt, ist es sicherlich nicht anders.«
Katharina schien sich mit der Antwort Zeit zu lassen – so kam es ihm jedenfalls vor. Doch statt Auskunft zu geben, sagte sie stattdessen: »Frau Rehmringer ist eine nette alte Dame. Ich bin froh, dass sie uns aufgenommen hat. Arbeitest du schon lange für sie?«
»Solange ich denken kann, bin ich im Dienst der Familie Rehmringer. Ich war noch nie woanders.«
Katharina horchte erstaunt auf, denn seine helle Stimme hatte einen sonderbaren Klang bekommen.
»Möchtest du woanders leben?«, fragte sie neugierig.
»Wenn ich könnte, würde ich von hier fortgehen und mir das Reich ansehen. Im Gegensatz zu dir bin ich noch nie fort gewesen. Aber ich bin Leibeigener der Herrschaft von Kriechingen, und für einen Loskaufbrief fehlt mir das nötige Geld.«
»Loskaufbrief?«, murmelte Katharina.
»Du weißt nicht, was das ist?« Die junge Frau schüttelte den Kopf.
»Es ist eine Art Genehmigung, damit ich dauerhaft wegziehen kann, und die kostet Geld. Gibt es das dort, wo du herkommst, nicht?«
Katharina zuckte mit den Schultern.
»Deine Heimat ist wohl weit weg von hier«, versuchte Paul erneut eine Antwort auf seine Frage zu erhalten, aber Katharina ging wieder nicht darauf ein.
Plötzlich blieb der junge Mann stehen und zog die Stirn missmutig in Falten. »Warum sagst du mir nicht, woher ihr seid? Du machst ein Geheimnis daraus, als wärt ihr Verbrecher.«
Bei seinen Worten zuckte Katharina zusammen, fing sich aber rasch wieder. »Warum willst du das wissen, Paul? Wir leben jetzt in Westrich – in dem Land an der Saar, nur das zählt.«
Der Mann nahm die Hand der jungen Frau in seine Pranke und versuchte ihren Blick auf sich zu lenken.
»Vielleicht können wir Freunde werden. Wie du selbst sagst, kennst du hier niemanden.«
Katharina wusste nicht, was sie davon halten sollte. Als sie aber in seinem Blick nichts Falsches erkennen konnte, nickte sie.
»Ja, vielleicht können wir Freunde werden. Aber jetzt lass uns rasch nach Hause gehen, sonst friere ich hier draußen noch fest«, rief sie lachend und lief los.
Als Paul und Katharina durch die Straßen von Wellingen gingen, kamen sie an einem Haus vorbei, aus dem lautes Wehklagen zu hören war. Erschrocken sahen sich die beiden an.
»Was kann da passiert sein?«, fragte Katharina ängstlich.
»Das ist das Haus des Glasers Adrian. Warte hier, ich werde nachfragen, ob er meine Hilfe benötigt.«
Paul stellte den Wäschekorb neben Katharina ab und klopfte an die Eingangstür. Als ein Junge mit tränennassen Augen und geröteter Wange öffnete, konnte Katharina in die Stube blicken. Eine schwarz gekleidete Frau saß auf einem Hocker und weinte laut, dabei wiegte sie ihren Körper hin und her, als plagten sie Schmerzen.
»Ich habe einen Schrei gehört und wollte wissen, ob ich euch helfen kann?«
Bevor der Junge antworten konnte, wurde er von seinem Vater grob zur Seite gedrängt.
»Was willst du, Paul?«, fragte der Glaser mürrisch.
»Benötigst du meine Hilfe, Adrian? Ich habe einen …«
»Du weißt, dass unsere kleine Klara vorgestern gestorben ist?«, unterbrach der Mann ihn sofort. Paul nickte.
»Klara lag in der Stube aufgebahrt. Meine Frau und ich mussten zum Melken in den Stall und haben die Buben allein mit Klara gelassen. Als wir vor wenigen Minuten zurückkamen, haben wir die Bescherung gesehen.«
Sein Gesicht verfinsterte sich. »Felix war der Ansicht, dass seine tote Schwester Hunger haben müsse, und hob sie mit seinem Bruder aus dem Sarg, um ihr Suppe einzuflößen.«
Katharina traute ihren Ohren nicht.
»Sie haben ihr Suppe gegeben?«, fragte Paul nach. Als der Mann bejahte, konnte Katharina nur mit Mühe ein Lächeln unterdrücken. Sie versuchte sich nichts anmerken zu lassen und sagte: »Das ist ein netter Wesenszug von deinem Sohn, Glaser.«
Abfällig betrachtete der Mann sie. »Du bist eine von den Fremden?«
Katharina
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