Der Hexenturm: Roman (German Edition)
eilig das Schweinefutter zusammen, als hinter ihm Äste laut brachen. Vor Schreck verharrte er stocksteif in seiner Bewegung und traute sich nicht umzublicken. Als es erneut knackte, schloss er die Augen und rief verhalten: »Laudato si mi Signore cum tucte le Tue creature.« Dann wandte er sich um. Als ein Schrei zu hören war, rannte Burghard los, und er rannte, bis er den Schlitten erreicht hatte. Erst da wurde ihm bewusst, dass er es gewesen war, der geschrien hatte.
Atemlos blickte er zurück in den Wald. Ich habe mich sicher getäuscht!, dachte er. Schreckensbleich setzte er sich auf den Schlitten, als ihm plötzlich der Leinensack einfiel, den er vor Furcht unter den Bäumen vergessen hatte. »Ich muss zurück und ihn holen.« Zögerlich bewegte er sich Schritt für Schritt in den Wald zurück, den Blick starr nach vorn gerichtet. Endlich sah er den Sack und bückte sich, um ihn aufzunehmen. In dem Augenblick rumorte es so laut hinter ihm, dass er befürchtete, vor Schreck in Ohnmacht zu fallen. Zitternd drehte er sich langsam um. Da sah er sie erneut! Nun war er sich sicher, dass er sich beim ersten Mal nicht getäuscht hatte! Mehrere riesige dunkle Schatten waren hinter ihm, die dann wie Fledermäuse mit ausgebreiteten Flügeln durch die anbrechende Nacht entschwanden.
Burghards Zähne schlugen aufeinander. Er war auf dem Heimweg mehrmals im Schneematsch ausgerutscht und hatte durchnässt und durchgefroren erst spät das Gestüt erreicht.
Nachdem er sich trockene Kleidung übergezogen hatte, traf er seine Freunde in der warmen Küche, wo stets ein Feuer im Herd brannte.
»Erzähl uns, was vorgefallen ist«, forderte Franziska ihn auf und reichte ihm ein Handtuch, mit dem er sich die Haare trocken reiben konnte. Katharina stellte einen Becher mit heißem Würzwein vor ihn auf den Tisch. »Der wärmt von innen.«
Nachdem Burghard einige Schlucke zu sich genommen hatte, spürte er, wie der Alkohol seinen Körper belebte. Clemens, der ihm gegenübersaß, fragte grinsend: »Sag bloß, dir ist der Grenzsteingänger begegnet!«
Burghards Augen blitzten Clemens wütend an. Kreidebleich schimpfte er: »Verspotte mich nicht! Ich hätte dich gern gesehen, wenn du an meiner Stelle gewesen wärst.«
Johann zwinkerte Clemens verschwörerisch zu. »Nun erzähl endlich, was der Geist zu dir gesagt hat.«
Burghards Stimme wurde lauter: »Wer sagt, dass ich ihm begegnet bin? Vielleicht habe ich etwas viel Schrecklicheres gesehen.«
Plötzlich öffnete sich die Küchentür.
»Was ist das hier für ein Lärm?«, fragte Frau Rehmringer.
Sofort sprang Katharina auf und eilte der Frau entgegen, um sie zu stützen. »Ich konnte nicht schlafen und wollte mir einen Becher Milch holen. Da hörte ich eure lauten Stimmen.«
»Warum ruft Ihr nicht nach mir, damit ich Euch das Gewünschte bringen kann?«, versuchte Katharina die Frau milde zu stimmen.
»Wie du siehst, geht es mir gut. Außerdem war ich der Ansicht, dass du bereits schlafen würdest.«
»Ihr wisst, Frau Rehmringer, dass Ihr mich zu jeder Tages-und Nachtzeit rufen könnt. Dafür bin ich da.«
»Jetzt reicht es, Katharina!«, sagte die Frau energisch. »Ich habe beschlossen, nicht länger wie eine Todgeweihte im Bett zu liegen.«
Die anderen waren ebenfalls von ihren Plätzen aufgesprungen und trauten sich kaum, die Frau, die sie bislang nur einmal gesehen hatten, anzublicken.
»Setzt euch!«, befahl Frau Rehmringer. An Katharina gerichtet bat sie in versöhnlichem Ton: »Sei so gut und bring mir einen Becher warme Milch mit einem Löffel Honig darin.« Forschend schaute sie in die Runde. Ihr Blick blieb an Burghard hängen. »Bist du in den Hessbach gefallen?« Erschrocken verneinte er.
»Warum sind dann deine Haare nass und du selbst kreidebleich?«
Als Burghard nicht mit der Sprache herausrücken wollte, schlug sie mit ihrem zarten, dünnen Händchen mit einer unerwarteten Kraft auf die Tischplatte, dass jeder im Raum zusammenzuckte.
»Jetzt sprich!«
Burghard erzählte zuerst stockend, doch als er erkannte, dass Frau Rehmringer ihm aufmerksam zuhörte, verlor er seine Scheu.
Es war totenstill in der Küche, als Burghard geendet hatte. Seine Freunde schauten ihn aus großen Augen an. »Warum hast du uns das nicht gleich erzählt?«, fragte Clemens.
»Hättet ihr mir geglaubt? Glaubt ihr mir jetzt?«
Alle Blicke wandten sich Frau Rehmringer zu, die ihre heiße Milch schlürfte.
»Ihr könnt ihm Glauben schenken«, sagte sie ernst und blickte
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