Der Hexer - GK579 - Das Haus am Ende der Zeit
wucherten dort, wo zuvor noch dorniges Unterholz gewesen war, und da und dort erkannte ich Pflanzen, die wie ins Absurde vergrößerte, blasse Orchideen aussahen.
»Was ... was ist das?« flüsterte ich. »Das ist doch kein Wald. Jedenfalls keiner, wie es ihn ...« Ich stockte, erschrocken vor dem, was ich gerade hatte aussprechen wollen.
»Keiner, wie es ihn auf unserer Erde gibt, meinst du?« sagte Howard, ohne den Blick von den titanischen Farnwedeln zu wenden. Plötzlich lachte er, aber es klang sehr bitter und vollkommen ohne Humor, und seine Stimme zitterte jetzt nicht mehr vor bloßer Erschöpfung. »Du hast recht, Robert«, fuhr er fort. »Oder auch nicht – ganz wie du willst.«
Er sprach nicht weiter, aber das war auch gar nicht nötig.
Ich hatte es im Grunde schon gewußt, aber etwas in mir hatte sich dagegen gesträubt, den Gedanken laut auszusprechen.
Natürlich gab es Wälder wie diese nicht. Nicht mehr, hieß das. Aber es hatte eine Zeit gegeben, in der es sie gegeben hatte, nicht nur hier, in England, sondern überall auf der Welt.
Ich wußte nicht genau, wie lange es her war, aber ich hatte das Gefühl, daß das auch keine Rolle spielte.
Jedenfalls nicht für uns.
Es hatte einmal Wälder wie diese gegeben.
Vor hundert oder zweihundert Millionen Jahren.
** *
Sie schrie. Schrecken und Furcht lähmten sie, aber selbst wenn sie fähig gewesen wäre, sich zu bewegen, hätte es nichts gegeben, wohin sie hätte fliehen können. Mit dem Ding war Licht in den Keller gedrungen; ein grauer, flackernder Schein, in dem alle Gegenstände unwirklich und alle Bewegungen ruckhaft und abgehackt wirkten. Ihr Blick hing gebannt auf dem schwarzgrünen, waberndem Ding, das die Tür wie ein Bild aus einem Alptraum ausfüllte, ein wogendes, widerwärtiges Etwas aus Schleim und Fleisch und reißenden Stacheln und gestaltgewordener Furcht, das sie aus einem einzigen, lidlosen roten Auge musterte. Seiner Dämonenfratze war keine Regung anzusehen, aber Jenny spürte einfach, wie die Blicke des Ungeheuers mit einer schwer zu bestimmenden Gier über ihren Körper tasteten ...
Das Ungeheuer glitt mit einer kraftvollen Bewegung auf sie zu und blieb zitternd stehen, als Jenny mit einem Schrei auf die Füße sprang und abwehrend die Hände ausstreckte. »Geh weg!« schrie sie. »Geh weg!!«
Sie wußte nicht, ob das Monstrum ihre Worte verstand oder ob es nur auf den Klang ihrer Stimme reagierte. Aber es kam nicht weiter auf sie zu. Sein Blick flackerte. Drei, vier seiner zahllosen, peitschenden Tentakel streckten sich aus, deuteten zitternd in ihre Richtung und verharrten, wenige Zentimeter, ehe sie ihren Körper berühren konnten.
»Nein!« schrie Jenny. »Geh! Geh weg!«
Sie taumelte rückwärts vor der grauenhaften Erscheinung davon, prallte gegen die feuchtkalte Wand und schrie weiter.
Ihre Schreie schienen das Ungeheuer nervös zu machen. Die glitzernden Arme peitschten stärker, und in dem faustgroßen blutigroten Auge flammte Zorn auf. Aber es kam nicht näher.
»Du darfst dich nicht wehren, Jenny.«
Jenny fuhr mit einem neuerlichen, noch gellenderen Schrei herum, als sie die Gestalt neben sich aufwachsen sah. Es war Charles – aber sie erkannte ihn kaum noch. Der Verfall seines Körpers war weiter fortgeschritten.
Jennys Stimme überschlug sich, wurde zu einem unmenschlichen Kreischen. Für einen Moment drohte sie die Besinnung zu verlieren, aber irgendwo, tief in ihr, war noch ein Rest von Kraft und Lebenswillen, etwas, das sie zurückriß und sie, obgleich sie halb wahnsinnig vor Furcht und Entsetzen war, kämpfen ließ.
Charles kam näher, hob langsam die Arme, versuchte, nach ihr zu greifen und erstarrte, als Jenny mit einem würgenden Laut zurücksprang. Sie taumelte, verlor auf dem feuchten Boden das Gleichgewicht und fiel.
»Nicht wehren«, murmelte Charles. »Es hat keinen Zweck, wenn du dich wehrst, Liebling. Er braucht deine Lebenskraft, aber du mußt sie ihm freiwillig geben. Freiwillig und freudig.« Seine Stimme wurde hart und hatte plötzlich nichts mehr mit der zu tun, die sie kannte. »Sterben wirst du so oder so, aber es liegt in deiner Hand, ob du die Erfüllung finden oder zu einem Wesen wie ich werden wirst. Sieh mich an! Willst du, daß das dein Schicksal ist?«
Jenny kroch verzweifelt vor ihm davon. Charles folgte ihr, mit unsicheren, taumelnden Schritten. Er streckte abermals die Arme nach ihr aus, und eine einzelne, schwarzglänzende Spinne kroch über seine Hand, balancierte
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