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Der Hexer - NR06 - Labyrinth der weinenden Schatten

Der Hexer - NR06 - Labyrinth der weinenden Schatten

Titel: Der Hexer - NR06 - Labyrinth der weinenden Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verschiedene
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Schlüssel klimpern. »Zelle sieben«, sagte er. »Die für unsere ganz speziellen Gäste.« Er legte den Bund auf den Tisch, schloß demonstrativ den obersten Knopf seines Mantels und sah auf die Uhr. Seine Laune sank noch weiter, als er sah, wie spät es geworden war. Er würde jetzt nicht mehr eine halbe Stunde eher, sondern fast eine Stunde später als normal nach Hause kommen. Die Aussicht auf ein kaltes Abendessen und die mißtrauischen Fragen seiner Frau hob seine Stimmung nicht gerade.
    Er wollte gehen, aber Cowley rief ihn noch einmal zurück. »Hast du dir schon überlegt, was ich ins Wachbuch schreiben soll?« fragte er. »Vielleicht Betrunkenen wegen Randalierens auf dem Trottoir festgenommen?«
    »Wegen Majestätsbeleidigung«, korrigierte Seffinger.
    Cowley schnaubte. »Das ändert auch nichts«, sagte er übellaunig. »Wir werden nur eine Menge Ärger kriegen. Hast du seine Kleider gesehen, und das Geld, das in seiner Brieftasche war?«
    »Reichtum schützt vor Strafe nicht«, sagte Seffinger grinsend.
    »Aber Beziehungen, mein Lieber«, gab sein Kollege zurück. »Außerdem haben wir gar nicht das Recht, jemanden zu verhaften und einzusperren.«
    Seffinger wollte widersprechen, tat es aber dann doch nicht, sondern blickte Cowley nur einen Moment nachdenklich an. Sein Kollege hatte durchaus recht. Je nachdem, wer dieser südländisch aussehende Fremde war – seine Brieftasche war bis auf ein gewaltiges Bündel Banknoten leer gewesen, so daß sie seine Identität nicht hatten feststellen können – konnte es gut sein, daß er am nächsten Morgen keine Belobigung, sondern eine kräftige Kopfnuß von seinem Vorgesetzten erhielt. Möglicherweise war er ein wenig über sein Ziel hinausgeschossen.
    »Wer spricht von verhaften?« sagte er schließlich. »Der Mann war vollkommen betrunken, oder? Wir haben ihn nur zu seiner eigenen Sicherheit in eine Zelle gelegt, damit er seinen Rausch ausschlafen konnte.«
    Cowley dachte einen Moment über diese Version nach. Sie schien ihm zu gefallen. »Okay«, sagte er. »Aber dann geh noch einmal zurück und schließ die Zellentür auf, damit er nicht durchdreht, wenn er wach wird. Ich sehe bei meiner nächsten Runde nach ihm.«
    Seffinger grunzte, hütete sich aber, zu widersprechen. Mit einem geknurrten »Ich bin ja auch erst eine Stunde zu spät dran« klaubte er den Schlüsselbund vom Tisch, wandte sich um und verließ die Wachstube.
    Der Gang, den er betrat, war dunkel; nur an seinem hinteren Ende brannte eine kleine, ganz heruntergedrehte Gaslampe, so daß die Türen zu dunklen Schatten auf einem noch dunkleren Hintergrund wurden. Aber Seffinger kannte jeden Fußbreit Boden in diesem Gefängnis besser als seine eigene Wohnung. Er versah seinen Dienst hier seit mehr als fünfzehn Jahren, und er hätte den Weg zu der kleinen, einzelnen Zelle auch mit verbundenen Augen gefunden.
    Der Raum gehörte nicht zu dem verwinkelt angelegten Zellentrakt des Gefängnisses und stand normalerweise leer. Er wurde nur benutzt, um Gefangene für kurze Zeit – etwa vor einem Transport – unterzubringen. Entsprechend war seine Ausstattung: Das Glas in dem kleinen, vergitterten Fenster war schon vor Jahren zerbrochen und nie ersetzt worden, und das Bett war kein Bett, sondern ein Brett, auf dem allerhöchstens ein Fakir schlafen konnte.
    Cowley hatte recht, dachte Seffinger übellaunig, während er die Zellentür aufschloß. Wenn ihr Gast am nächsten Morgen in dieser Folterkammer aufwachte und die Tür noch dazu verschlossen fand, würde er wirklich durchdrehen.
    Er drehte den Schlüssel herum, öffnete die Tür, trat in die Zelle – und blieb wie angewurzelt stehen.
    Der Betrunkene schlief nicht mehr, sondern saß aufrecht auf der Pritsche.
    Er war auch nicht mehr betrunken, sondern blickte Seffinger mit einem dünnen, überheblichen Lächeln an.
    »Gut, daß Sie noch einmal vorbeikommen, Sir«, sagte er. »Das erspart es mir, auf Ihren Kollegen zu warten.«
    Mort Seffinger kam nicht mehr dazu, den Fremden nach dem Sinn dieser Worte zu fragen.
    Er kam auch nicht mehr dazu, zurückzuspringen und die Tür hinter sich ins Schloß zu werfen. Er kam nicht einmal mehr dazu, einen Hilferuf auszustoßen.
    Das letzte, was er wahrnahm, war das Blitzen von Stahl in den schlanken Fingern des Fremden...

    * * *

    Es war ein Wettlauf mit dem Tod. Die wenigen Schritte zum Haus wurden zu einer Ewigkeit. Die Nacht war plötzlich voller grauer Schatten, und das Schwirren und Rascheln zehntausender

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