Der Hexer - NR08 - Im Bann des Puppenmachers
Sinne hatte. Einen Moment überlegte er, das Angebot anzunehmen und die Figur zu schlagen. Dann schüttelte er den Kopf, ging mit raschen Schritten zu seiner Grundlinie zurück und berührte seinen Damenbauer an der Stelle, die de Laurec ihm gezeigt hatte. Rasselnd setzte sich die Metallfigur in Bewegung und blieb stehen, als Howard die Hand zurückzog. »D7 auf D5«, sagte er.
De Laurecs linke Augenbraue rutschte ein Stück nach oben. »Du schlägst ihn nicht?« fragte er. »Das wundert mich. Hast du Hemmungen?«
»Vielleicht«, sagte Howard leise. »Dein Zug.«
»Ich weiß.« De Laurecs Lächeln wurde eine Spur kälter. »Ich nehme dein Angebot jedenfalls an. E4 auf D5. Bauer schlägt Bauer.«
Die silberne Bauernfigur rutschte klirrend auf das bezeichnete Feld. Howards Damenbauer wurde beiseite gestoßen, blieb einen Moment klirrend und scheppernd auf dem Nachbarfeld stehen – und trollte sich vom Brett.
Doch er erstarrte nicht wieder zur Bewegungslosigkeit, wie Howard angenommen hatte. Aus seinem Inneren erscholl ein leises, metallisches Klicken, und plötzlich schoß einer der Metallarme vor. Rasiermesserscharfer Stahl blitzte dort, wo die Finger des Bauern sein sollten.
De Laurecs hämisches Kichern ging in Howards Schmerzensschrei unter, als sich die vier winzigen Klingen in seine Wade bohrten.
* * *
Der Himmel über der Stadt wurde langsam grau. Es mußte irgendwann zwischen vier und fünf Uhr morgens sein, und so, wie es aussah, würde auch dieser Tag wieder mit Regen und unzeitgemäßer Kälte über Paris hereinbrechen. Beinahe automatisch kroch meine Hand zur Weste, um die Taschenuhr hervorzuziehen, aber dann führte ich die Bewegung nicht zu Ende. Selbst dazu war ich zu müde. Das regelmäßige Schaukeln der Kutsche begann eine einlullende Wirkung auf mich auszuüben.
»Gleich simmer da«, sagte Rowlf. Die Worte drangen nur undeutlich durch den dämpfenden Mantel aus Müdigkeit und Schwäche, der sich zwischen mein Denken und die Welt gesenkt hatte. Ich blinzelte, richtete mich ein wenig in den Polstern der Mietdroschke auf und lugte müde durch eine zerschlissene Stelle in den Vorhängen. Es war noch nicht hell genug, um viel von der Umgebung zu erkennen. Aber nach dem wenigen, was ich sah, glaubte ich nicht, daß es eine Gegend war, die ich mochte.
Müde blinzelte ich zu Rowlf hinüber. Er sah so erschöpft und mitgenommen aus, wie ich mich fühlte. Seine rechte Hand war unförmig angeschwollen und lag wie ein Klumpen nutzlosen Fleisches auf seinem Schoß. Sein Gesicht war zerschunden und blutig, und in seinen Augen hatte sich zu dem Ausdruck von Erschöpfung und Schmerz noch der einer tiefen, quälenden Sorge gesellt. Wir hatten die halbe Stadt zu Fuß durchquert, ehe es mir – unter Zuhilfenahme meiner suggestiven Kräfte und einer Summe, die ausgereicht hätte, den altersschwachen Zweispänner zu kaufen – endlich gelungen war, einen Wagen zu bekommen. Das Dutzend anderer Kutscher, das wir vorher angesprochen hatten, hatte uns entweder davongejagt oder so getan, als existierten wir nicht. Ich konnte es ihnen nicht einmal verdenken. Wer nimmt schon mitten in der Nacht zwei Fremde auf, von denen der eine aussieht wie Frankensteins großer Bruder nach einer Schlägerei und der andere keine Schuhe anhat und nach verfaultem Gemüse stinkt?
Die Kutsche schaukelte um eine Straßenbiegung und wurde ein wenig schneller, und ich sah abermals aus dem Fenster. Die Gegend schien mit jedem Yard, den die Kutsche zurücklegte, schäbiger zu werden. Die Häuser waren schwarz vor Ruß und jahrzehntealtem Schmutz, und die kleinen Fenster schienen wie blind gewordene Augen auf uns herabzustarren. Müde versuchte ich, Ordnung in das Durcheinander zu bringen, das hinter meiner Stirn herrschte, und dachte noch einmal über das nach, was ich von Rowlf erfahren hatte. Er hatte in einem Straßencafe am Opernplatz gewartet, wie Howard es ihm befohlen hatte, aber Lovecraft war lange vor Ende der Vorstellung wieder aufgetaucht – nur, um sofort in eine Kutsche zu springen und zu verschwinden, ehe Rowlf auch nur recht begriffen hatte, was vorging. Alles, was wir noch hatten, war die Adresse eines Mannes, von dem wir nichts außer seinem Namen wußten – und der Tatsache, daß er Howard haßte. Nicht gerade die idealen Voraussetzungen dafür, in einer Stadt wie Paris einen einzelnen Mann zu finden; einen Mann dazu, der sicher alles in seiner Macht Stehende tun würde, seine Spur zu verwischen.
»Wir hätten ihn
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