Der Hexer - NR10 - Wenn der Stahlwolf erwacht
dabei an.
Ich wollte antworten, aber der Polizeicaptain schnitt mir mit einer befehlenden Geste das Wort ab, »Keine Unterhaltungen«, sagte er. »Sie werden nachher mehr Gelegenheit zum Reden haben, als Ihnen lieb ist.«
Howards Gesicht verdüsterte sich. »Was soll das heißen?« fragte er scharf. »Sie können mir schlecht das Reden verbieten, Mister.«
»Und ob ich das kann«, schnauzte Cohen. Er wirkte noch immer verstört, aber er verbarg seine Unsicherheit jetzt wieder hinter einem bissigen Auftreten. »Sie werden sich noch wundern, was ich alles kann. Ich kann zum Beispiel –«
Wir erfuhren nie, was Cohen beispielsweise gekonnt hätte, denn in diesem Augenblick hielt der Gefangenenwagen mit einem so harten Ruck an, daß wir allesamt von den Bänken geworfen wurden und wild durcheinanderfielen. Ein zorniger Schrei drang durch das Holz der Wände, dann das erschrockene Kreischen eines Pferdes, dann begann ein Mann zu keifen, ohne daß ich die Worte verstanden hätte.
Mühsam rappelte ich mich hoch, schob Rowlfs Fuß von meinem Gesicht herunter und versuchte, meine Beine aus dem Gewirr von Gliedern und Körpern zu entflechten, in dem sie verschwunden waren. Das Schreien draußen vor dem Wagen nahm zu, und plötzlich ging ein harter Schlag durch das Gefährt, der uns abermals zu Boden schleuderte. Diesmal dauerte es länger, bis ich mich aus dem Durcheinander befreit hatte und aufstand.
Das erste, was ich sah, war Cohen, der auf eine Bank gestiegen war und schon wieder mit seinem Revolver herumfuchtelte. »Keine Bewegung, Craven«, sagte er drohend. »Ich werde schießen, wenn Sie auch nur einen falschen Furz lassen, das schwöre ich Ihnen!«
»Idiot«, sagte Howard gelassen.
Cohen fuhr herum, schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen und wedelte mit dem Revolver vor Howards Gesicht. »Ich verbitte mir das!« brüllte er. »Ich belange Sie wegen Beamtenbeleidigung.«
Howard seufzte, schüttelte ein paarmal den Kopf und schnippte mit einer betont gelangweilt wirkenden Bewegung ein imaginäres Stäubchen von seiner Jacke. »Tun Sie das, Mister Cohen«, sagte er freundlich. »Aber vielleicht sehen Sie vorher nach, was da draußen passiert ist.«
Cohen starrte einen Moment lang ihn, dann die geschlossene Tür an und nickte. Umständlich kletterte er von seiner Bank herunter, ging rückwärts zur Tür und klopfte mit der Faust dagegen. Draußen ertönte ein gellender Schrei, wie zur Antwort, und wieder kreischte ein Pferd. Diesmal war es eindeutig ein Schmerzensschrei.
Cohen erbleichte. Wie von Sinnen begann er mit den Fäusten gegen die Tür zu schlagen und zu brüllen, aber die einzige Reaktion auf seine Worte waren neue Schreie draußen auf der Straße und ein abermaliger dumpfer Schlag, der den Wagen traf. Dann krachte ein Schuß, gleich darauf ein zweiter, und plötzlich begannen eine ganze Menge Stimmen gleichzeitig zu kreischen. Den Geräuschen nach zu urteilen, mußte dort draußen eine mittlere Schlacht stattfinden.
»Warum schließen Sie nicht auf?« schnappte Howard. »Da draußen passiert etwas, das hören Sie doch!«
Cohen nickte nervös. »Ich kann nicht aufschließen«, sagte er. »Ich habe keinen Schlüssel. Das ist Vorschrift.«
»Dann brechen Sie sie auf!« sagte Howard.
Cohen zögerte einen Moment, lauschte noch einmal auf das Schreien und Krachen draußen und nickte abgehackt. Mit einem heftigen Ruck drehte er sich herum und richtete den Lauf seiner Waffe auf das Türschloß. »Treten Sie zurück.«
Howard, ich und die beiden Polizisten gehorchten hastig, aber Rowlf trat mit einem ärgerlichen Knurren an mir vorbei, ergriff Cohens rechte Hand und verbog sein Gelenk, bis er mit einem Schmerzlaut die Waffe fallen ließ.
»Biste bescheuert, Mann?« schnauzte er. »Das is ne Fünfunvierzier. Wenne mit der Wumme hier drin schießt, platzt jedem einen hier drin ‘s Trommelfell. Geh zurück. Ich machs schon.« Damit versetzte er Cohen einen Stoß, der ihn quer durch den Wagen und in die Arme seiner beiden Männer taumeln ließ, drehte sich mit einem Knurren herum – und rannte mit aller Gewalt gegen die geschlossene Tür.
Die Londoner Gefängniswagen schienen nicht halb so stabil zu sein, wie im allgemeinen angenommen wurde. Oder Rowlf war noch stärker, als ich ohnehin wußte. Ich hatte erwartet, daß er die Tür im ersten Ansturm aufbrechen würde; was ich nicht erwartet hatte, war, daß das Holz wie mürbes Stroh nachgab und er regelrecht durch die Tür hindurchrannte, um
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