Der Hexer - NR12 - Im Land der GROSSEN ALTEN
seltsames Gefährt steuerte, langsamer werdend und dabei an Höhe verlierend, auf eine Gruppe dieser Männer zu, kam zehn Schritte vor ihnen zum Halten und setzte schließlich sanft wie eine Feder auf. Dagon sprang mit einem federnden Satz zu Boden und bedeutete Sserith und mir, ihm zu folgen. Ich beeilte mich, aufzustehen, aber Sserith konnte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, mir einen Stoß in den Rücken zu versetzen, der mich auf seinen Herren zutaumeln und neben ihm auf die Knie fallen ließ. Ich schenkte ihm einen bösen Blick und bekam ein gehässiges Grinsen zur Antwort.
Einer der Buntgekleideten löste sich aus seiner Gruppe und trat mit raschen Schritten auf Dagon zu.
»Wen bringst du da, Dagon?« fragte er. »Einen Wilden?«
Er runzelte die Stirn, kam näher und stieß mich mit dem Fuß an. Gehorsam stemmte ich mich hoch und blickte ihn an.
Ich hatte ein Fischgesicht wie Dagons erwartet, aber ich wurde enttäuscht. Der Mann, dem ich gegenüberstand, schien ein ganz normaler Mensch zu sein – dunkelhaarig, mit breiten Schultern und stämmiger, schon leicht zur Fettleibigkeit neigender Statur. Gekleidet war er in die gleiche Art von schreiend buntem, lebendigen Umhang wie Dagon.
Aber ich wußte nicht, ob ich froh sein sollte, ihn zu sehen.
Er wirkte zwar menschlicher als Dagon, aber gleichzeitig auch düsterer. Etwas Finsteres, körperlos Böses schien von seiner Erscheinung auszugehen, ohne daß ich das Gefühl in Worte zu kleiden vermochte.
»Er sieht sonderbar aus«, sagte er, nachdem er mich eine Weile gemustert hatte. »Was ist er?«
Dagon zuckte mit den Achseln. »Wir haben ihn am Wall aufgegriffen, Ayron«, erklärte er, »zusammen mit einer Frau. Vielleicht seinem Weibchen.« Er zuckte abermals mit den Achseln. »Sie waren gerade dabei, sich von den Ssaddit auffressen zu lassen. Das Weibchen war zu schwer verletzt, als daß es sich gelohnt hätte, es mitzunehmen.«
Ich starrte ihn an. Für die Verachtung, mit der er über Shadow sprach, hätte ich ihn erwürgen können, aber das Gefühl heißen Zornes, das plötzlich in mir erwachte, vermischte sich mit einem eisigen, lähmenden Erschrecken, als ich begriff, warum er so sprach.
Plötzlich wußte ich, daß wir für ihn und all die anderen hier nicht mehr als Tiere waren. Vielleicht war es nicht einmal Bosheit, sondern seine Art, zu denken. Was immer er war, schien er sich so hoch über den Menschen zu dünken, daß er das Recht daraus ableitete, sie wie Dinge zu behandeln.
»Ihn können wir gebrauchen«, sagte Ayron mit einem zufriedenen Nicken. »Es war gut, daß du ihn mitgebracht hast. Jene in der Tiefe sind hungrig.« Ein sanftes, beinahe glückliches Lächeln huschte über seine Züge. »Der Tag rückt heran, Dagon. Die Zeichen sind deutlicher geworden.«
Dagon zögerte. »Ich weiß nicht, ob es gut wäre, ihn zu opfern«, murmelte er. »Er ist keiner von den Wilden, Ayron. Nicht so, wie –«
»Schweig!« unterbrach ihn Ayron. »Er wird geopfert, und damit gut.«
»Aber Barlaam wird«, begann Dagon, nur, um sofort wieder von Ayron unterbrochen zu werden:
»Barlaam wird äußerst unzufrieden mit uns allen sein, wenn es uns nicht gelingt, jene in der Tiefe zu besänftigen«, schnappte er. Ein düsterer, unwirklicher Klang begleitete die Worte jene in der Tiefe und ließ mich schaudern.
»Du weißt, wie ungeduldig sie in ihrem Hunger sind, und wie schrecklich ihr Zorn ist.«
Er machte eine befehlende Geste. »Bringt ihn zu den anderen.«
Diesmal widersprach Dagon nicht mehr.
Wie immer die Rangordnung unter diesen... was-auch-immer sein mochte, schien er großen Respekt vor Ayron zu haben. Sein Gesichtsausdruck war finster, als er sich herumdrehte und Sserith einen befehlenden Wink gab.
»Du hast gehört, was Ayron gesagt hat. Bring ihn fort. Und krümme ihm kein Haar, oder du landest selbst in der Grube.«
Sserith war sichtlich enttäuscht. Aber er nickte nur demütig, ergriff mich beinahe sanft am Arm und führte mich weg.
Jedenfalls sah es für die anderen so aus. In Wirklichkeit brach er mir fast den Ellbogen. Tränen des Schmerzes schossen mir in die Augen, aber ich biß die Zähne zusammen und ließ mir nichts anmerken. Diesen Triumph wollte ich ihm nun doch nicht gönnen.
Sserith führte mich über den Steg davon, bis zu einer vielleicht zehn Fuß messenden, halbrunden Ausbuchtung, die über den Lichtsee führte. Die ganze Anordnung erinnerte mich auf unangenehme Weise an die Planken, die man auf See
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