Der Hexer - NR24 - Der Zug der in den Alptraum fuhr
Cody.
Ich nickte, hob meine Kaffeetasse und nippte daran, genau wie es ein Mann tun würde, der über etwas sprach, das ihm peinlich ist. »Ich bin aber auch gleich wieder aufgesprungen«, fuhr ich fort, seinem Blick ausweichend.
»Und warum?«
»Ich habe jemanden gesehen«, sagte ich. »Einen von Teagardens Männern.«
»Von Teagardens Männern?« Cody runzelte die Stirn. »Sind Sie sicher?«
»Ziemlich«, gestand ich. »Es war der Bursche, den ich niedergeschlagen habe, kurz bevor Sie und Ihre Freunde gekommen sind. Er muß uns nachgegangen sein. Ich... ich habe nicht vergessen, was Sie über Teagarden gesagt haben, Bill. Sie waren ja in Sicherheit, aber ich...« Ich lächelte verlegen, stellte die Tasse aus der Hand und begann mit meinen Fingern zu spielen, als wüßte ich plötzlich nicht mehr, wohin damit.
»Ich bin kein sehr mutiger Mann«, gestand ich. »Wahrscheinlich werden Sie mich jetzt auslachen, aber das ist die Wahrheit. Ich hatte schlicht und einfach Angst.«
Aber Cody lachte nicht, sondern blickte mich zehn, fünfzehn endlose Sekunden lang durchdringend an, um sich dann an Sitting Bull zu wenden.
»Blitzhaar spricht die Wahrheit«, sagte der alte Häuptling. Es war das erste Mal, daß ich seine Stimme hörte.
Und plötzlich ging eine sonderbare Veränderung mit Buffalo Bill Cody und seinen Begleitern vor sich. Bodine, der – ohne daß ich es bemerkt hatte – in den letzten Sekunden immer näher an mich herangerückt war, atmete erleichtert auf, und das Lächeln auf Annie Oakleys Gesicht wirkte mit einem Male befreit und echt.
»Sie haben verdammtes Glück, Craven«, sagte Cody. »Wenn Sie jetzt gelogen hätten, dann...« Er sprach nicht weiter, sondern nahm statt dessen die rechte Hand, die er bisher unter dem Tisch gehalten hatte, in die Höhe. In seinen Fingern lag ein winziger, doppelläufiger Damenrevolver. Beide Hähne waren gespannt.
»Und... und wenn er mir nicht geglaubt hätte?« fragte ich mit einem nervösen Lächeln in Sitting Bulls Richtung.
Cody schüttelte den Kopf. »Sie werden es mir wahrscheinlich auch nicht glauben«, sagte er, »aber diese Gefahr bestand nicht. Sitting Bull weiß immer, ob jemand die Wahrheit sagt oder nicht. Versuchen Sie ihn zu belügen. Es ist unmöglich.«
»So ist es, Blitzhaar«, bestätigte Sitting Bull.
»Er... weiß immer...«
»Ob jemand die Wahrheit spricht oder lügt«, bestätigte Cody. »Es ist nun mal so.« Plötzlich lachte er. »Ich glaube, es ist an der Zeit, daß ich mich bei Ihnen entschuldige, Robert. Darf ich Sie zu einem Drink einladen?« Ohne meine Antwort abzuwarten, hob er die Hand und winkte den Kellner herbei.
Ich hätte aber auch gar nicht antworten können in diesem Moment. Ich war viel zu erstaunt dazu. Ich wußte, daß Cody die Wahrheit gesagt hatte – schließlich verfügte ich über die gleiche Gabe wie der alte Indianer. Und ich war nicht einmal sonderlich erstaunt darüber, daß Sitting Bull dasselbe magische Talent sein eigen nannte wie ich.
Nein – was mich viel mehr beschäftigte, war eine ganz andere Frage.
Wenn Sitting Bull dasselbe Talent besaß wie ich, warum hatte er dann gesagt, daß ich die Wahrheit sprach?
Es war nämlich eine glatte Lüge gewesen...
* * *
»Wir brauchen mehr Druck«, sagte Kennon grob. »In einer halben Stunde kommen wir in die Vorberge. Also streng dich gefälligst an und leg’ Kohlen nach.«
Midwailer starrte Kennons Rücken haßerfüllt an. Kennon hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, sich zu ihm herumzudrehen, sondern blickte weiter aus dem Fenster und ließ Gott einen guten Mann sein, während Midwailer in Schweiß gebadet war. Sie brauchten ganz und gar nicht mehr Druck. Der Zeiger des Manometers stand dicht unter dem Maximum, und die Lok brauste seit mehr als zwei Stunden mit Höchstgeschwindigkeit über die Geleise.
Aber wie immer, wenn Kennon versuchte, ihn zu provozieren, schwieg Midwailer auch diesmal.
Wütend riß er die Feuerklappe auf und schaufelte Kohlen in den Bauch des Dampfkessels. Eine Woge unglaublicher Hitze drang wie glühender Drachenatem aus dem weißglühenden Loch, und selbst der Schaufelstiel in seinen Händen wurde heiß.
Für einen Moment fragte sich Midwailer allen Ernstes, warum er Kennon nicht diesen Stiel in die Visage schlug, um sein dämliches Grinsen ein für allemal auszulöschen.
Aber darauf wartete der andere ja nur. Kennon war nicht nur zwanzig Jahre jünger als er, sondern auch ein gutes Stück größer und mindestens
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