Der Hexer - NR28 - Brücke am Ende der Welt
Moment nicht mehr.
Das Bild war längst verschwunden, aber es stand immer noch vor meinen Augen. Und dann sah ich noch etwas: ein schmales, von schulterlangem Haar eingerahmtes Gesicht, dunkle Augen, in denen ein verzweifeltes Flehen stand...
Priscyllas Gesicht!
Ich blieb stehen, wandte mich um und blickte zu den anderen hinüber. Unsere kleine Kolonne war auseinandergefallen; zwischen mir und Sitting Bull, der als vorletzter ging, lagen gute fünfzehn Schritte. Niemand sprach, niemand blickte in meine Richtung.
Ich zögerte noch eine einzelne, endlose Sekunde.
Dann fuhr ich abermals herum und rannte zurück in die Richtung, in der der Berg und die Drachenburg lagen.
Geradewegs in die hitzezerkochte Endlosigkeit der Mojave-Wüste hinein...
* * *
Es hatte nur Sekunden gedauert. Aber es waren Sekunden, die Reynaud de Maizieres in seinem ganzen Leben niemals mehr vergessen sollte. Als letzter der insgesamt sechs Männer war er in das grauenerregende Gebilde getreten, das Bruder Balestrano mit dem harmlosen Namen Tor bezeichnet hatte, und für Sekundenbruchteile hatte er nichts außer einem blendenden, giftgrünen Licht wahrgenommen, einen grellen Schein, in dem sich sein Körper auflöste, wie er es bei den vor ihm gehenden Männern beobachtet hatte.
Er hatte sich herumgedreht, um noch einmal zu Balestrano zurückzublicken, aber der Schrank und der fensterlose kleine Raum waren verschwunden gewesen; hinter ihm hatte sich das gleiche wahnsinnig machende grüne Etwas gestreckt und gebogen, das er schon zuvor beobachtet hatte; ein gräßlicher lebender Schlauch, aus dessen Wänden gestaltlose Dinge nach ihm und den Männern griffen. Der Boden unter seinen Füßen hatte gezittert und gebebt, und manchmal schienen riesige, lippenlose Münder nach ihm zu schnappen. Etwas Unsichtbares, Feuchtes und Warmes war über sein Gesicht geglitten, und während er von unsichtbaren Händen durch den Schlauch gezerrt und geschleudert wurde, jagten dunkle Schlünde an ihm vorbei, Abzweigungen, die geradewegs in den Wahnsinn führten. Balestranos Warnung fiel ihm ein, und er widerstand der Versuchung, auch nur einen Blick in diese anderen Welten zu werfen.
Dann war es vorbei, so schnell, wie es begonnen hatte. Ein heller, pulsierender Fleck erschien am Ende des Tunnels, raste mit unglaublicher Geschwindigkeit auf Reynaud de Maizieres zu –
und spie ihn auf einen schmalen, felsigen Sims.
Vor Überraschung verlor der Tempelritter das Gleichgewicht. Er fiel, stürzte auf Hände und Knie herab und warf sich mit einem krächzenden Schrei zurück, denn dicht vor ihm gähnte ein gut hundert Meter tiefer Abgrund, dessen Boden mit nadelspitzen Felsdornen gespickt war.
Eine Hand packte ihn bei der Schulter, riß ihn in die Höhe und ein Stück vom Rande des Felsabbruches zurück. Reynaud sah das Gesicht eines Templers vor sich, bleich vor Schrecken. Mit einem dankbaren Nicken streifte er die Hand des Mannes ab, fuhr sich glättend über das Haar und sah sich um.
Sie standen an der Flanke eines zerborstenen, annähernd lotrecht in die Höhe strebenden Berges. Der schmale Sims, auf dem sie herausgekommen waren, zog sich auf eine Strecke von vielleicht hundert Schritten unverändert am Berg entlang, machte dann einen scharfen Knick nach rechts und ragte, zum Anfang einer geländerlosen Brücke werdend, gute zehn Schritte ins Nichts hinaus, ehe er entlang einer zerborstenen Bruchkante endete. Reynaud de Maizieres schauderte. Einen Schritt weiter, und...
Er zwang sich, den Gedanken nicht zu Ende zu denken, sondern wandte sich mit einem Ruck wieder um und sah den Mann an, der ihm auf die Füße geholfen hatte. »Ich danke dir, Bruder«, sagte er, wenn auch mit einiger Verspätung. Der Mann nickte stumm.
»Wie geht es weiter?« fragte Reynaud. Wieder antwortete der Mann ohne zu sprechen. Seine Hand deutete auf den Sims, dann die zersplitterte Felsbrücke hinauf und weiter nach Osten, direkt ins Nichts hinein. Reynaud de Maizieres’ Herz schien einen schmerzhaften Sprung zu machen, als er begriff, was die Geste zu bedeuten hatte.
»Dort entlang?« vergewisserte er sich.
»Der Weg beginnt dort«, bestätigte der Templer. »Kommt, Herr.«
Reynaud schluckte die Antwort, die ihm auf der Zunge gelegen hatte, im letzten Moment hinunter. Äußerlich war er vollkommen ruhig, als er dem Tempelritter folgte und auf den jäh in die Höhe strebenden Brückenstumpf hinauf trat. Innerlich zitterte er vor Angst.
* * *
Die Hitze war ins
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