Der Hexer - NR28 - Brücke am Ende der Welt
Zischeln und Grollen des Ungeheuers hatte aufgehört, und statt dessen hatte sich eine fast unheimliche Stille über den Sandtrichter gebreitet.
Vorsichtig öffnete ich die Augen – und blickte direkt in das weit aufgerissene Maul des Ameisenlöwen. Seine Zähne befanden sich nur noch wenige Inches von meinem Gesicht entfernt. Die beiden Mandibeln hatten sich beiderseits meines Kopfes tief in den Sand gewühlt, bereit, zuzuschnappen und nachzuholen, was seinem Peitschenfühler mißlungen war. Aber das Ungeheuer stellte keine Gefahr mehr dar. Es war tot. Sein eigener Sprung, mit dem es sich auf mich geworfen hatte, hatte den Stockdegen so tief in seinen Leib getrieben, daß seine Spitze aus den zerborstenen Chitinplatten seines Rückens hervorragte. Es mußte auf der Stelle tot gewesen sein. Hätte es auch nur eine halbe Sekunde länger gelebt, oder hätten sich seine Muskeln im Todeskampf noch einmal zusammengezogen...
Ich verscheuchte diese wenig erfreuliche Vorstellung aus meinen Gedanken, schob ächzend die Hände unter den gepanzerten Leib des Monstrums und stemmte es in die Höhe. Es war leichter, als ich angesichts seiner ungeheuerlichen Größe vermutet hatte: Mein Stoß reichte aus, es in die Höhe und bis auf den gegenüberliegenden Trichterrand zu schleudern. In einer Wolke von stiebendem Sand und Staub schlitterte es hinab, schlug einen grotesken Purzelbaum und begann im lockeren Sand des Trichterbodens zu versinken.
Zusammen mit meinem Stockdegen, der noch immer in seinem Leib steckte!
Mit einem keuchenden Schrei sprang ich hoch, stolperte ihm nach und riß die Waffe aus seinem Leib, wobei ich sorgsam darauf achtete, nicht auf den runden Fleck von Treibsand zu treten, in dem das tote Monstrum versank. Sonderbarerweise klebte nicht ein Tropfen Blut am polierten Hartholzschaft des Degens.
Erst jetzt, als der erste Schrecken vorüber war und meine Gedanken wieder in den gewohnt logischen Bahnen zu laufen begannen, fiel mir auf, daß dies bei weitem nicht alles war, was hier nicht stimmte. Das Ungeheuer war viel zu leicht gewesen, und obgleich der Schaft meines Stockes aus sehr hartem Holz war, hätte er seinen Chitinpanzer normalerweise nicht durchdringen können. Es gibt kaum etwas Härteres als das Panzerhemd, das Mutter Natur ihren Insektenkindern auf den Leib geschneidert hat.
Aber der Kadaver des Ungeheuers war auf Nimmerwiedersehen im Treibsand verschwunden; ich würde dieses Rätsel ohnehin nicht mehr lösen können. Ebensowenig wie die Frage, wo dieser Alptraum von einem Ameisenlöwen herkam. Achselzuckend wandte ich mich um, ließ mich behutsam auf Hände und Knie herabsinken und begann auf diese wenig elegante Art, die Trichterwand hinaufzukriechen. Es dauerte lange, bis ich wieder auf sicherem Grund stand.
Und ich war nicht sehr sicher, ob es eine besonders kluge Entscheidung gewesen war, wieder hier heraufzukommen. Ich war nicht mehr allein. Wenige Schritte vor mir krochen drei braunrote Ameisen aus einer Felsspalte. Ich gehöre normalerweise nicht zu denen, die beim Anblick eines Insekts in Schreikrämpfe ausbrechen; erst recht nicht bei einem so harmlosen und nützlichen Tier wie einer Ameise. Aber jetzt stand ich kurz davor.
Ich kann nicht beurteilen, ob diese drei Ameisen in irgendeiner Form nützlich waren. Was ihre Harmlosigkeit anging, sah ich die Sache etwas konkreter. Es waren wahre Prachtexemplare von Ameisen. Und sie waren ein wenig größer, als Formiciden normalerweise werden. Um genau zu sein – jede einzelne von ihnen hätte eine prachtvolle Mahlzeit für den Ameisenlöwen abgegeben, dem ich gerade mit Mühe und Not entkommen war...
Und als wäre mein plötzlicher Schrecken ein Angriffssignal für die drei schäferhundgroßen Biester gewesen, schossen sie im gleichen Augenblick auch schon auf mich los.
Mit einem verzweifelten Hüpfer brachte ich mich außer Reichweite der schnappenden Beißzangen und trat nach dem vordersten der Miniungeheuer.
Mein Fuß traf seinen Schädel und zertrümmerte ihn wie eine Eierschale.
Fassungslos vor Unglauben blieb ich mitten im Schritt stehen und starrte die tote Ameise an. So groß sie war, schien ihr Körper nicht wesentlich widerstandsfähiger als der einer normal gewachsenen Ameise zu sein. Sicher, ich hatte mit der Kraft der Verzweiflung zugetreten, aber eine Ameise von der Größe eines Schäferhundes hätte – wären ihre Körperkräfte im gleichen Verhältnis mitgewachsen – mit Leichtigkeit ein Haus davontragen
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