Der Hexer - NR38 - Das Auge des Satans
diesem Teil der Wüste flieht. Es sind Beni Ugad auf dem Weg hierher. Sehr viele.
Guillaume erschrak und sah instinktiv auf. Noch war der Horizont leer. Aber er wußte, wie schnell sich dies ändern konnte. »Hilf uns«, verlangte er.
Euch oder Craven? erkundigte sich der Dschinn. Was ihr von mir verlangt, ist viel. Ich kann Craven zu Nizar bringen, oder euch von hier fort. Beides zugleich übersteigt meine Kräfte!
Guillaume überlegte fieberhaft. Er wußte, daß ihnen ein qualvoller Tod bevorstand, fielen sie den Beduinen in die Hände. Aber er wußte auch, daß alle seine Pläne unwiderruflich zum Scheitern verurteilt waren, wenn es ihm nicht gelang, Robert Craven zu einer Konfrontation mit Nizar zu zwingen.
»Gut«, sagte er schließlich. »In welche Richtung müssen wir reiten, um den Beni Ugad zu entkommen?«
Nach Westen, antwortete der Dschinn. Also hast du dich entschieden. Es ist Craven, dem ich mit meiner Macht beistehen soll.
»Für diesmal, ja«, antwortete Guillaume.
Es wird kein nächstes Mal geben, Herr, sagte der Dschinn. Um den Weißen Magier und seine Begleiter in Sicherheit zu bringen, brauche ich meine ganze Kraft. Ihr müßt mich befreien.
»Niemals!« sagte Guillaume.
Dann wird er abermals in die Hände der Beni Ugad fallen, erwiderte der Dschinn. Diesmal werden sie ihn töten. Ihr müßt mich freilassen. Ich werde euren letzten Befehl ausführen und dann meiner Wege gehen.
»Was sollte mich daran hindern, dich in deiner Flasche versauern zu lassen?« fauchte Guillaume wütend.
Nichts, Herr. Die Stimme des Dschinn klang beinahe amüsiert. Es würde mir nicht gefallen, aber ich habe Zeit. Was sind hundert Jahre?
»Das... das ist Erpressung!« stöhnte Guillaume.
Die Bedeutung dieses Wortes ist mir unbekannt, antwortete der Dschinn ungerührt. Ich schlage euch einen Handel vor. Meine Freiheit gegen die Verwirklichung eurer Pläne. Überlegt es euch. Aber überlegt nicht zu lange. Die Beni Ugad kommen rasch näher. Und Craven und die beiden anderen können ihnen nicht entkommen, so erschöpft, wie sie sind.
»Das... das ist nicht dein Ernst!« keuchte Renard. Er hatte die stumme Unterhaltung mit angehört. Sein Gesicht war grau vor Angst. »Ich flehe dich an, Bruder – du kannst diesen Dämon nicht befreien, nur um...«
»Nur um was?« unterbrach ihn Guillaume kalt. »Nur um einen weit größeren Dämon zu vernichten? Oder das Leben von hundert oder mehr unserer Brüder zu retten?«
Renard schwieg, aber sein Blick flackerte unstet. Guillaume starrte ihn noch einen Moment an, dann drehte er sich um...
und schleuderte die Flasche mit aller Macht gegen einen Felsen.
Das in ein dünnes Netz aus Blei eingeschlossene Glas zerbarst klirrend. Für einen Moment hatte Guillaume das Gefühl, etwas Kleines, Dunkles davonhuschen zu sehen, wie einen Wurm, der hastig davonkroch. Dann begann grauer Dampf aufzusteigen...
Und mit einem Male sahen sich die beiden Tempelritter einer hochgewachsenen, dunkelhaarigen Frau gegenüber, die wie aus dem Nichts vor ihnen erschien.
Renard schrie auf, brach in die Knie und schlug mehrmals hintereinander das Kreuzzeichen vor der Brust, und auch Guillaume prallte erschrocken zurück. Aber er hatte sich weit genug in der Gewalt, sofort wieder stehenzubleiben und den Dschinn zu mustern.
»Du bist...«
»Ich bin, was ich bin«, unterbrach ihn die Frau. »Ich habe diese Gestalt gewählt, um dich nicht zu erschrecken. Ich hoffe, sie gefällt dir. Ich sah dieses Bild in deinen Gedanken.«
Guillaume schluckte ein paarmal. Erst jetzt sah er, wie schön die Frau war – sie war keine reine Araberin, aber auch keine reinblütige Europäerin, sondern hatte von jeder Rasse etwas; eine Mischung, die eine unglaublich faszinierende Wirkung auf Guillaume ausübte. Was er sah, war die Frau seiner Träume, das Idealbild, das jeder Mann – und umgekehrt jede Frau – in sich trägt und niemals wirklich findet. Jetzt stand es vor ihm, lebend, warm, unglaublich verlockend; ein Sturm, der über seine Sinne und Gefühle hereinbrach.
Mit aller Macht zwang sich Guillaume in die Wirklichkeit zurück. »Teufel«, stammelte er. »Du... du willst mich versuchen. Weiche von mir!«
»Wie du befiehlst, Herr«, antwortete die Frau. Ihre Stimme war sie Samt. Ein eisiges, aber unglaublich wohltuendes Prickeln rann über Guillaumes Rücken, als er ihren Klang hörte. Stockend, als gehorche er nicht mehr seinem eigenen Willen, tat er einen Schritt auf die Frau zu, hob die Hände und blieb
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