Der Hexer - NR41 - Die phantastische Reise
Zügen des dürren, weißhäutigen Wesens. Der Alte wankte zwei, drei Schritte zurück und öffnete den Mund wie zu einem Schrei, doch kein Laut kam über seine bleichen Lippen. In seinen Augen flackerte Panik, als er zu dem Hügel emporstarrte, auf dem George stand – und an ihm vorbei!
George fühlte, wie das Blut in seinen Adern zu Eis gerann, als ein dumpfer, grollender Laut hinter seinem Rücken aufklang. Für den Bruchteil einer Sekunde war er wie gelähmt.
Es war da! Die Kreatur war hinter ihm!
Mit einem Schrei fuhr George Wells herum und riß den primitiven Speer in die Höhe.
Doch es war nicht mehr als eine instinktive Bewegung ohne wirklichen Sinn; sein Hirn hatte noch nicht begriffen, was seine Augen schon sahen.
Vor Entsetzen gelähmt hielt George inne. Eine eiskalte, klamme Hand schloß sich um sein Herz und preßte es zusammen.
Das Bild, das sich ihm bot, war ein fleischgewordener Alptraum. Wie hatte er nur glauben können, eine Chance gegen dieses Monstrum zu besitzen? Schon in seiner Vision war es ihm gigantisch erschienen, ein dämonischer Gott, gegen den ein menschliches Wesen niemals bestehen konnte.
Und die Wirklichkeit übertraf den Alptraum noch um ein Vielfaches.
Eine weiße, unförmige Masse wuchs vor George Wells in die Höhe; schwammiges Fleisch, aus dem fingerdicke, peitschende Tentakel brachen und sich ihm entgegenreckten. Bösartige rote Augen starrten auf ihn herab, als er betäubt von dem unfaßbaren Anblick zurücktaumelte und in einer sinnlosen Geste den Speer vorreckte.
Bis einer der Fangarme nach vorn zuckte, den hölzernen Schaft der Waffe umschlang und sie ihm mit einem Ruck aus den Händen riß...
* * *
Wilde, zügellose Gier und animalische Mordlust pulsierten durch jede Faser meines Körpers; eine unbezähmbare Wut auf jenes mindere, zwerghafte Wesen, das sich erdreistete, den Speer gegen mich zu erheben.
Mit einer raschen Bewegung eines meiner zahllosen Arme riß ich ihm die lächerliche Waffe aus den Händen und schleuderte sie zur Seite. Der Zwerg taumelte zurück, die Hände vor das Gesicht erhoben, und begann zu kreischen wie ein waidwundes Tier.
Nun, seine Schreie würden nicht lange meine Ohren beleidigen. Doch bevor ich ihn zermalmte, wollte ich das Gefühl der Stärke und absoluten Macht noch bis zur Neige auskosten.
Ich richtete mich zu meiner ganzen Größe auf, bis das Dorf vollends unter dem Schatten meines gigantischen Körpers lag. Allein der schwarze, bizarr geformte Tempel, der Ort meiner Geburt, war mir noch ebenbürtig in seiner finsteren, gigantischen Erscheinung.
Und dann sah ich das Opfer, das mir der Gesang verheißen hatte; die heilige Gabe, die meine Wut und meinen Hunger besänftigen sollte und doch einem ganz anderen Zweck diente: der Aufzucht der Brut, die in den Höhlen eines Vulkanberges heranwuchs. Es bedurfte nur noch zwei oder drei dieser Weibchen, bis meine Kinder endlich erwachen und an meiner Seite über das Land und all seine Lebewesen herrschen konnten.
Ich beugte mich weiter vor und betrachtete aus hungrigen Augen das dargebotene Opfer.
Irgend etwas daran war anders als sonst. Der nackte Körper des Weibchens war gedrungener, seine Haut und das Haar dunkler. Es war –
SILL!
Ein schmerzhafter Stich des Erkennens fuhr durch mein Hirn. Etwas, das sich um meinen Geist gelegt hatte, zerbrach und fiel wie zäher, erstarrter Schleim von meinen Gedanken ab.
Gütiger Gott – was war mit mir geschehen? Das waren doch nicht meine Gedanken gewesen, die nach dem Tod der beiden Menschen verlangten!
Und doch mußten sie sterben, damit meine Kinder leben konnten. Ich brauchte den kleinen, ausgestreckten Körper auf dem Opfertisch, seine warmen, fruchtbaren Eingeweide, um –
NEIN! Es durfte nicht sein! Ich mußte mich dagegen wehren! Das waren nicht meine Gedanken! Nicht meine Gedanken!
Mit einem reißenden Schmerz kam ich frei.
Wieder war ich für Sekunden mit dem abgrundtief bösen Geist des Wurms verschmolzen gewesen, hatte nicht nur durch seine Augen gesehen, sondern im gleichen Moment seine Gedanken gedacht, die wilden Instinkte einer Bestie durchlebt. Und es war so plötzlich geschehen, daß ich mich nicht dagegen zu wehren vermochte, ja nicht einmal recht bemerkte, daß die schrecklichen Gedanken nicht mehr meine eigenen waren.
Ich beugte mich tiefer hinab und reckte zwei meiner Tentakel dem nackten Körper der Frau entgegen. Sie schrie auf, als ich die weiche, verletzliche Haut berührte und über ihren Leib strich.
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