Der Hexer - NR43 - Revolte der Echsen
mich. Etwas stimmte nicht mit diesem Ort, ohne daß ich eine Ursache für das vage Gefühl erkennen konnte. Auf den ersten Blick schien sich nichts verändert zu haben. Es dauerte mehrere Minuten, bis mir bewußt wurde, daß das Gefühl der Bedrohung nicht auf meine überreizten Nerven zurückzuführen war.
Nach dem ununterbrochenen Bersten von Zweigen war jetzt Stille eingekehrt.
Totenstille.
Um uns herum lastete der Dschungel wie eine düstere Wand aus Schatten, die jedes Geräusch wie ein gewaltiger Schwamm aus gestaltgewordener Nacht verschluckte. Die Stille war nicht natürlich, sie wirkte auf eine furchterregende Art fremdartig. Zuvor hatte ich nicht bewußt darauf geachtet, aber ich war mir sicher, daß Vogelgezwitscher und auch das Brüllen ferner Raubtiere unseren bisherigen Weg begleitet hatten. Obwohl ich mir keineswegs eine Begegnung mit den Tieren wünschte, irritierte mich doch ihr plötzliches Verstummen. Es war, als hätte die Natur den Atem angehalten – oder als hätte ihr stärker ausgeprägter Instinkt die Tiere von diesem Ort vertrieben.
Eine Falle! durchzuckte es mich. Diese ganze Lichtung war eine einzige Falle, auch wenn ich die Bedrohung immer noch nur unterschwellig spüren konnte. Wieder glaubte ich am Waldrand eine huschende Bewegung zu entdecken, die aufhörte, als ich genauer hinsah.
Auch Madur und den Sree war die unnatürliche Stille aufgefallen. Einige waren aufgesprungen und blickten sich unsicher um, die Schwerter kampfbereit erhoben.
Madur erwiderte meinen Blick und zuckte fast unmerklich mit den Schultern. Ich packte den Stockdegen fester und ging zu ihm hinüber. Seine arrogante Selbstsicherheit war wie weggeblasen.
»Die Tiere«, flüsterte er. »Es ist ein böses Omen, wenn sie verstummen. Wir sollten so schnell wie möglich...«
Ich erfuhr nicht mehr, was er sagen wollte. Alles, was ich noch sah, war ein fingerdickes Etwas, das sich um seine Kehle schlang, bevor ich ebenfalls von einer ungeheuren Kraft von den Füßen gerissen wurde.
* * *
Die Stunden verstrichen wie ein nicht enden wollender Alptraum. Inbrünstig klammerte sich Sill an den Gedanken, daß sie irgendwann aufwachen und feststellen würde, daß alles gar nicht wirklich passiert war. Auch wenn sie wußte, daß nichts dergleichen geschehen würde, gab sie die Hoffnung nicht auf, um sich nicht ihrer letzten Zuflucht vor der Verzweiflung zu berauben.
Immer seltener vernahm sie die fremde Stimme, und das schattige Etwas schien sich fast völlig aus ihr zurückgezogen zu haben. Es hatte seine Aufgabe erfüllt.
Mit Schrecken stellte Sill fest, daß sie selbst sich immer schneller veränderte. Nur noch ein geringer Teil ihres Ichs war von dieser Veränderung unberührt geblieben. Die Verlockung der Macht war zu groß. Immer stärker wurde der Einfluß des finsteren Teils ihrer Seele, der mit ihrer gegenwärtigen Situation völlig zufrieden war und sich an der Verehrung ergötzte, die man ihr entgegenbrachte. Sie hatte sich dem Volk von Ancen gezeigt und war frenetisch gefeiert worden. In dem seit Jahrtausenden währenden Krieg gegen den Conden-Turm sahen die Menschen in ihr die große Hoffnung auf Frieden.
Sill legte den Kopf zu einem lautlosen grimmigen Lachen in den Nacken und starrte zu der Kuppel aus magischer Energie hinauf, die dieses Reich vor den Wassermassen schützte. Oh ja, sie würde Frieden schaffen, aber auf eine andere Art, als diese Narren glaubten.
Friedhofsfrieden.
Ein Schauer lief über ihre Haut, wurde aber sofort durch die Berührung einer unsichtbaren, gewaltigen Hand fortgewischt. Die Macht, die hinter ihr stand, forderte ihren Preis, und auch in ihr selbst erwachte immer stärker der Drang, ihre neuen Kräfte endlich einzusetzen, um dieses Land mit Tod und Vernichtung zu überziehen.
»Bald«, raunten die Schatten um sie herum. »Bald ist es soweit.«
Aber noch mußte sie sich gedulden. Während sie aus der Beschwörung gestärkt hervorgegangen war, hatten die anderen Kreismitglieder sich bis zur Erschöpfung verausgabt. Doch die Beschwörung hatte sich gelohnt. Noch einmal sah sie das Bild des Mannes mit der weißen Haarsträhne vor ihrem inneren Augen, und genoß das Entsetzen in seinem Blick als –
(Robert, mein Gott, ich...!)
– die Falle sich mit tödlicher Präzision um ihn und seine Begleiter schloß. Sie hatte das Ergebnis des Angriffes nicht mehr beobachten können, aber es gab für sie keinen Zweifel, daß der Fremde, der von den Conden-Leuten als Befreier
Weitere Kostenlose Bücher