Der Hexer und die Henkerstochter
zum Kräutersammeln im Wald verschwand. Allerdings nicht in einem Wald, in dem möglicherweise ein Wahnsinniger sein Unwesen trieb.
Dass dieser Verrückte noch immer unterwegs war, darüber gab es für Simon keinen Zweifel. Pater Benedikts pathetische Worte von Gottes heiligem Zorn hielt er für blanken Unsinn. Aber wie und wo in aller Welt war Pater Laurentius an die gestohlene Monstranz gekommen? Und was hatte es mit diesem Automaten auf sich? Der Medicus beschleunigte seinen Schritt. Vielleicht war der Novizenmeister ja mittlerweile in einem Zustand, der es ihm erlaubte, wenigstens einige Worte zu sprechen.
Als Simon das Hospital hinter dem Kloster betrat, sah er sich zunächst nach Jakob Schreevogl um. Jetzt, da er selbst sich wohl hauptsächlich um den kranken Grafensohn kümmern musste, war der Patrizier für ihn zu einer nicht mehr wegzudenkenden Hilfe geworden. Doch dann fiel ihm ein, dass Schreevogl beim Grafen war.
Dafür erblickte Simon einen anderen Mann.
Eine riesige Gestalt beugte sich soeben über Laurentius. Sie stand mit dem Rücken zu Simon, und es sah ganz danach aus, als wollte sie den Verletzten mit ihren gewaltigen Pranken erwürgen. Der Medicus rannte auf den Unbekannten zu und riss ihn an der Schulter herum.
»In Gottes Namen, sofort …«, rief er. Doch dann hielt er sich erschrocken die Hand vor den Mund.
»Um Himmels willen, Kuisl!«, keuchte er. »Ihr seid’s! Wo habt Ihr nur die ganze Zeit gesteckt? Ihr habt mir einen Heidenschrecken eingejagt.«
»Du mir auch.« Der Henker funkelte seinen Schwiegersohn zornig an. »Dachte schon, du bist einer der verfluchten Wachleute. Seit wann ist es einem Scharfrichter und Heiler denn verboten, sich einen Verletzten anzusehen?« Er warf einen mitleidigen Blick auf den ohnmächtigen Novizenmeister. »Wobei der hier nicht so ausschaut, als wäre ihm noch groß zu helfen. Nicht mal von mir.«
Erst jetzt bemerkte Simon, dass Jakob Kuisl nicht die Franziskanerkutte trug, sondern sein eigenes Gewand. »Haltet Ihr es nicht für gefährlich, hier so herumzulaufen?«, flüsterte er und deutete in den rückwärtigen Teil des Raums. »Dort hinten liegen auch ein paar Schongauer, die könnten Euch erkennen. Wenn die Kirche erfährt, dass ein ehrloser Henker …«
Kuisl unterbrach ihn mit einer unwirschen Handbewegung. »Scheiß auf die Kutte«, brummte er. »In der werd ich mittlerweile ohnehin gesucht.«
»Ihr werdet was ?«
»Vielleicht erzählst du mir lieber zunächst, was der Novizenmeister bei dir macht und warum draußen alle Welt von einem Wunder faselt«, erwiderte der Henker. »Wer weiß, vielleicht ergeben deine und meine Geschichte ja ein Ganzes.«
»Meinetwegen. Aber lasst uns dafür in eine der hinteren Ecken gehen.« Simon senkte die Stimme. »Die meisten der Patienten sind zwar zu schwach, um überhaupt etwas mitzubekommen. Aber man weiß ja nie.«
Sie begaben sich in eine stille Ecke des Gewölbes, wo einige schimmlige Kisten und Fässer gestapelt waren. Während er sich immer wieder nach den dösenden Kranken umsah, berichtete Simon in kurzen geflüsterten Worten von dem Fund des verletzten Novizenmeisters und der Monstranz. Auch dass die verkohlte Leiche von Virgilius in einem klösterlichen Brunnen aufgetaucht war, erzählte er. Der Henker hörte schweigend zu und stopfte sich dabei eine Pfeife. Als er sie endlich mit einem brennenden Kienspan entzündet hatte, deutete er mit dem Stiel auf den ohnmächtigen Laurentius.
»Der hier ist nebenbei auch der Grund, warum ich seit gestern Mittag nicht mehr aufgetaucht bin. Hielt es für das Beste, erst mal im Wald zu verschwinden.« Er nahm einen tiefen Zug und erzählte Simon von dem Gespräch zwischen Pater Benedikt und Laurentius, das er belauscht hatte, und seiner überstürzten Flucht. Dabei erwähnte er auch die Liebesbriefe, die er in der Truhe des Novizenmeisters gefunden hatte, und den alten Plan, den der Bibliothekar seit ein paar Tagen vermisste.
»Was auch immer es damit auf sich hat – in Zukunft wirst du wohl ohne mich herumschnüffeln müssen«, brummte Kuisl schließlich. »Mir ist’s nur recht. Die Kutte hat sowieso gestunken wie ein einziger gewaltiger Pfaffenfurz.«
»Verflucht!«, zischte Simon. »Dabei scheinen wir der Lösung so nah zu sein! So wie es aussieht, hat in diesem Kloster wirklich jeder Dreck am Stecken.« Er zählte an den Fingern auf. »Nepomuk und der tote Virgilius gingen irgendwelchen ketzerischen Ideen nach, der Abt stiehlt Hostien, wenn
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