Der Hexer und die Henkerstochter
auch aus ehrenhaften Motiven; der Prior ist ein intriganter Ehrgeizling, der Novizenmeister ein Sodomit – und jetzt scheint auch noch der Bibliothekar irgendwas unten in den Klosterkellern zu verstecken.«
»Du vergisst den Cellerar, der ihm offenbar dabei geholfen hat«, warf Kuisl ein.
Simon rieb sich nachdenklich über die schweißnasse Stirn. »Was in Gottes Namen können die zwei dort unten nur versteckt haben? Und vor allem – wo ist das Versteck? Wenn ich Laurentius richtig verstanden habe, dann hat er in den Gängen auch diesen Automaten gesehen.«
»Was auch immer es ist, sie haben den Eingang vermauert. Und die Pläne, wie man dort hingelangt, sind ganz plötzlich auf rätselhafte Weise verschwunden.« Kuisl grinste. »Übrigens – bei der Aufzählung deiner Schurken und Scharlatane hast du diesen Wittelsbacher Grafen vergessen. Wir wissen immer noch nicht, welche Rolle der parfümierte Pudel bei der ganzen Sache spielt.«
Simon seufzte. »Zurzeit spielt Wartenberg jedenfalls recht überzeugend die Rolle des besorgten Vaters. Wenn ich seinen Sohn nicht bald heile, seh ich schwarz für mich.«
»Am wichtigsten ist zunächst, dass wir den hier zum Sprechen bringen.« Der Henker deutete auf Pater Laurentius, der röchelnd und mit flachem Atem auf seiner Bettstatt lag. »Er ist der Schlüssel zu allem. Wenn der gute Laurentius uns erzählen kann, woher die Monstranz stammt und wer ihm das angetan hat, dann ist das Geheimnis vermutlich gelüftet.« Er nahm einen weiteren tiefen Zug von der Pfeife und sah nachdenklich hinauf zur Decke. »Ich fürchte nur, dass gewisse Leute nicht wollen, dass er spricht.«
»Was soll das heißen?«, fragte Simon verwirrt.
»Was das heißen soll?« Kuisl lachte leise. »Wenn du der Mörder wärst und würdest erfahren, dass dein Opfer noch lebt – was würdest du wohl machen, hm?«
»O Gott!« Simons Gesicht wurde noch eine Spur weißer. »Ihr meint …«
»Ich meine, dass Laurentius’ Leben keinen Fliegenschiss mehr wert ist, wenn keiner auf ihn aufpasst.« Kuisl stand auf und ging zum Ausgang. »Und ich fürchte, das musst du machen. Meine Verkleidung als Franziskaner kennen die Kirchenoberen jetzt, das wäre zu gefährlich. Und als Schongauer Scharfrichter kann ich mich auch schlecht neben ihn setzen.«
»Ich? Unmöglich!« Simon schüttelte verzweifelt den Kopf. »Ihr vergesst, dass ich mich bereits um den Sohn des Grafen kümmern muss. Und Magdalena schmollt ohnehin schon, weil ich mich bei den Kindern nicht mehr blicken lass!«
»Die kommen schon darüber hinweg. Außerdem …« Der Henker blieb in der Tür stehen und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen. »Tagsüber wird der Hexer es ohnehin nicht wagen, hier zu erscheinen, dafür sind zu viele der Kranken wach. Wenn, dann schlägt er nachts zu. Du kannst dich also tagsüber ganz gemütlich um deinen kleinen Patienten kümmern und nachts neben dem Bett des Novizenmeisters Wache halten. Schmier seine Wunden mit einer Salbe aus Bärenfett, Ringelblumen und Kamille ein. Das dürfte noch am besten helfen.« Er hob die Hand zum Gruß. »Und nun gehabt Euch wohl, Herr Bader. Ich hab seit gestern Mittag nur ein paar Waldbeeren und Schwammerl gegessen.«
Simon wollte seinem Schwiegervater noch etwas zurufen, doch dieser war bereits hinter der nächsten Ecke verschwunden. Leise stöhnend setzte sich der Medicus auf den Rand des Bettes, in dem Laurentius lag, und blickte den Schwerverletzten müde an.
»Na wunderbar«, murmelte er. »Ringelblumen und Kamille … So langsam brauche ich auch eine Arznei.«
Müde kramte er in seinem Beutel, ob sich vielleicht doch noch die eine oder andere Kaffeebohne darin befand. Er hatte immer einen kleinen Notvorrat dieser exotischen Früchte bei sich, die ihm halfen, die Müdigkeit zu bekämpfen und nachzudenken. Doch bedauernd musste Simon feststellen, dass er die letzten Bohnen bereits gestern gemahlen hatte. Dafür stieß er am Grunde seines Beutels auf etwas anderes. Es war ein kleiner Tontiegel, den er vor einigen Tagen aus dem Haus des Apothekers mitgenommen und in der Aufregung bislang übersehen hatte.
Das Jesuitenpulver.
Nachdenklich öffnete Simon den Deckel und blickte auf das gelbliche Pulver. Er wusste, dass die aus Übersee stammende Arznei bei Fieber wahre Wunder wirken konnte. Doch leider war die Dosis so gering, dass sie wohl nur für eine Anwendung reichte. Wohl auch deshalb hatte Simon nicht mehr daran gedacht. Nun rieben seine Finger in dem
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