Der Hexer und die Henkerstochter
ein Leben lang.
Ohne es bewusst zu wollen, war Magdalena den Hügel hin aufgeeilt und stand nun auf dem weiten Klosterplatz, direkt vor der Kirche. Von hier aus der Nähe waren die Schäden durch den Blitzschlag noch gut zu erkennen. Das Dach des Glockenturms war fast gänzlich abgebrannt, und in der Decke des vorderen Seitenschiffs klaffte ein gewaltiges Loch. Überall liefen Maurer mit von Kalk weißen Schürzen, stämmige Zimmermänner und Tagelöhner umher; sie schleppten Steine, zogen eine neue Wand hoch oder verputzten mit Mörtel die bereits gemauerten Stellen. Am Rande der Baustelle entdeckte Magdalena den Altenstadter Zimmermann Balthasar Hemerle, der mit dem Patrizier Jakob Schreevogl in ein ernstes Gespräch vertieft war. Als der Schongauer Ratsherr die Henkerstochter bemerkte, winkte er sie zu sich heran.
»Ihr seht blass aus«, sagte Jakob Schreevogl besorgt. »Geht es Euch nicht gut?«
»Habt Dank«, entgegnete Magdalena unwirsch. »Ich hab bereits einen Mann und einen Vetter, die mich wie einen Welpen umsorgen. Das reicht.« Sie deutete auf die Kirche, deren Turm noch immer eingerüstet war. »Man mag gar nicht glauben, was so ein Blitz alles anrichten kann«, sagte sie kopfschüttelnd. »Schaut nicht so aus, als würde die Klosterkirche bis zum Dreihostienfest wirklich fertig werden.«
»Es wird in der Tat knapp«, brummte Balthasar Hemerle. »Nur noch sieben Tage. Da können wir bloß die schlimmsten Schäden ausbessern.« Er deutete auf den Ratsherrn an seiner Seite. »Meister Schreevogl hat uns immerhin versichert, dass wir bereits morgen die neuen Ziegel aus seiner Schongauer Brennerei geliefert bekommen.«
Magdalena musterte den jungen Patrizier. »Dann ist der Blitz wenigstens für Euch ein gutes Geschäft. Nicht wahr, Meister Schreevogl?«
»Macht Euch deshalb keine Gedanken. Ich liefere zum Vorzugspreis«, beruhigte sie Schreevogl. »In Augsburg oder Landsberg bekäm ich weitaus mehr. Wenn einer gute Geschäfte macht, dann unser lieber Herr Bürgermeister.« Er zwinkerte verschwörerisch und senkte seine Stimme. »Dreißig Fässer Bozener Wein hat Karl Semer der Andechser Klostertaverne verkauft, außerdem Wachs für Pilgerkerzen, Pökelfisch aus dem Nordmeer und billig gedruckte Bittbriefe, die er den Wallfahrern unterjubeln will. Das Dreihostienfest ist für den Schongauer Bürgermeister besser als jede Ostermesse.«
Magdalena pfiff durch die Zähne. »Das wusste ich noch gar nicht. Und ich hatte mich schon gewundert, was der alte Pfeffersack auf einer Wallfahrt will. Ganz wild war er darauf, dass wir noch gestern Nacht mitten im Gewitter den Heiligen Berg erreichen.«
»Weil er Angst hatte, dass ihm die Münchner und die Augsburger Händler zuvorkommen.« Jakob Schreevogl grinste sie an. »Zurzeit verhandelt der fromme Pilger im Gästehaus des Klosters mit dem Cellerar. Und jemand von den Wittelsbachern soll ebenfalls an Semers Waren interessiert sein. Wobei ich mich wundere, was die kurfürstliche Familie mit all diesem Krimskrams will.«
Die Henkerstochter nickte gedankenverloren. Die Erwähnung der gestrigen Nacht hatte eine Erinnerung in ihr geweckt – den Anblick eines flackernden Lichts oben in der Turmruine. Sie schirmte ihre Augen gegen die Sonne ab und spähte nach oben.
»Finden dort oben eigentlich schon Bauarbeiten statt?«, fragte sie neugierig.
»Im Glockenstuhl?« Der Zimmermann Hemerle schüttelte den Kopf. »Das Gerüst steht zwar bereits, aber wir arbeiten uns von unten hoch. Das wird noch ein gutes Stück Arbeit. Genau dort oben ist der Blitz in den Turm gefahren, da sind nur verkohlte Balken und Trümmer. Ein Wunder, dass bislang noch keine Glocke heruntergerauscht ist.«
Plötzlich fiel Magdalena ein, wie unwirsch Frater Johannes letzte Nacht auf ihre Frage reagiert hatte, ob im Kirchturm jemand mit einer Fackel unterwegs sei. Was hatte der Mönch noch mal gesagt? Was sollte jemand um diese Zeit dort oben zu suchen haben? Die Aussicht genießen?
Wieder starrte Magdalena hinauf zur Turmruine. Sie hatte es schon als Kind nicht vertragen, wenn ihr jemand etwas verheimlichte. Und etwas tief in ihrem Inneren verriet ihr, dass Frater Johannes nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte. Mit einem Mal erfasste sie wieder ein leichter Schwindel, und sie legte die Hand auf die Schulter des Patriziers.
»Ihr solltet Euch wirklich ein wenig hinlegen«, mahnte Jakob Schreevogl. »Meine Frau, Gott hab sie selig, hatte am Ende ebenso dunkle Augenringe wie
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