Der Hexer und die Henkerstochter
die Krankheit vor allem jene zu befallen schien, die sich ein Essen in einer Gaststätte überhaupt leisten konnten.
Er nagte nachdenklich an seiner Unterlippe. Konnte es sein, dass das Fieber etwas mit der Taverne zu tun hatte? Aber was?
Plötzlich kam ihm ein schrecklicher Verdacht.
»Meister Schreevogl«, wandte Simon sich an den Ratsherrn. »Könntet Ihr mir einen Gefallen tun?«
»Und der wäre?«
Leise, um keinen der Kranken zu wecken und eine Panik zu vermeiden, sagte Simon es ihm.
Jakob Schreevogl nickte und wandte sich zum Ausgang. Dort drehte er sich noch einmal zum Medicus um. »Wenn Ihr tatsächlich recht habt«, sagte er leise, aber drohend, »dann wird hier mindestens ein Kopf rollen. Und diesmal wird es nicht der dieses armen Apothekers sein.«
*
Nepomuk Volkmar kauerte in der stockdunklen Zelle der Weilheimer Fronveste und starrte auf seine Finger, an denen teilweise die Nägel fehlten. In den blutigen Stumpen pochte der Schmerz wie ein gefangener Dämon.
Im Grunde war der Apotheker froh, dass er in der Finsternis fast nichts sehen konnte. So blieb ihm wenigstens der Anblick seines geschundenen Körpers erspart. Aber immer neue Schmerzwellen pumpten durch Nepomuks Körper, und er wusste, dass solche Qualen von nun an sein ständiger Begleiter sein würden.
Meister Hans hatte gestern ganze Arbeit geleistet. Nachdem er dem Delinquenten, wie vom Gesetz verlangt, zunächst nur die Folterinstrumente gezeigt hatte, hatte er ihn auf den sogenannten Verhörstuhl gesetzt. Dabei handelte es sich um einen mit Dornen gespickten Sessel, bei dem sowohl die Arme wie auch die Beine mit stachligen Eisenschnallen befestigt wurden; selbst die Füße ruhten auf einem Dornenbrett. Die Schmerzen setzten bereits nach kurzer Zeit ein, wer eine Weile in dem Sessel saß, spürte, wie sich die Dornen langsam in sein Fleisch fraßen.
Als Nepomuk nach zwei Stunden Tortur im Verhörstuhl seine zauberischen Umtriebe immer noch nicht gestanden hatte, war Meister Hans dazu übergegangen, dem Apotheker mit einer langen Zange die Fingernägel zu ziehen.
Zu diesem Zeitpunkt hatte man Nepomuks Schreie bis hinaus auf den Hof der Fronveste hören können.
Doch trotz aller Schmerzen war der Mönch stark geblieben. Er hatte die Augen geschlossen und gebetet, er hatte seine Unschuld beteuert und an die Worte seines Freundes Jakob Kuisl gedacht.
Gesteh auf keinen Fall! Wenn du gestehst, ist alles aus!
Doch wie sollte man nicht gestehen, wenn man wusste, dass der gestrige Tag nur der Anfang gewesen war? Dass noch weitaus schlimmere Torturen folgen würden, bis er endlich wimmernd zusammenbrach und sich selbst der Hexerei bezichtigte? Nepomuk Volkmar hatte an der Seite seines Vaters, dem Reutlinger Scharfrichter, einige Folterungen miterlebt. Er wusste, dass die Delinquenten den Tod irgendwann herbeisehnten. Wenn man sie endlich wie Schlachtvieh zum Schafott schleifte, war von ihnen oft nicht viel mehr übrig als ein Sack gebrochener Knochen.
Würde er das Schweigen durchhalten können, wenn er selbst bald nur noch ein wimmerndes Bündel Mensch war, das seinen Tod herbeisehnte? Wie lange noch?
Endlich, nach Stunden der Folter, hatte man ihn wieder zurück in dieses Loch gezerrt und die Falltür über ihm geschlossen. Seitdem wartete er in der Dunkelheit auf das nächste Grauen. An Schlaf war nicht zu denken, und so rannen die Stunden träge dahin, während Nepomuk sich mit Erinnerungen an schönere Tage tröstete. Die Melodie einer Fiedel, das rhythmische Schlagen der Trommeln vor der Schlacht, das Zechen mit den anderen Söldnern, die vielen Übungskämpfe mit seinem einzigen wahren Freund Jakob Kuisl, die Gespräche in den langen Winternächten, in abgebrannten Scheunen oder im Schutz sturmumtoster geschleifter Festungen …
Wo ist denn dein Gott?, fragt Jakob, während Nepomuk den speckigen Rosenkranz zwischen seinen Fingern reibt. Ist er tot? Ich kann ihn nicht sehen, ich kann ihn nicht hören.
Du kannst nur an ihn glauben, antwortet Nepomuk.
Jakob lacht leise und dreht das brutzelnde Kaninchen am Spieß. Fett tropft zischend in die Flammen.
Ich glaube an hartes Eisen, sagt er schließlich. An Gesetze und an den Tod.
Gott ist stärker als der Tod, Jakob.
Der Sohn des Schongauer Scharfrichters sieht seinen Freund lange an. Dann stapft er schweigend hinaus in die Nacht.
Am nächsten Tag hängen sie gemeinsam ein halbes Dutzend Marodeure. Als die Banditen in den Ästen zappeln, wandert Jakobs Blick plötzlich hinüber
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