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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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einen Blick in den Raum dahinter, schließlich drückte er gegen den Flügel, bis dieser lautlos nach innen schwang. Auf Zehenspitzen stieg er zurück in den Raum und schloss das Fenster wieder. Sein Rock war klatschnass von Schweiß, das Parkett unter ihm kam ihm vor wie ein tiefer Sumpf, durch den er mit weichen Knien watete.
    Er atmete dreimal tief durch, dann eilte er lautlos zur Tür, lauschte und huschte endlich hinaus auf den leeren Flur. Nur wenige Augenblicke später stakste Simon an den beiden Wachen am Portal vorbei, wobei er fast die Treppe hinuntergefallen wäre.
    »Alles … alles in Ordnung!«, krächzte er und versuchte einigermaßen normal zu klingen. »Bin nur ein wenig müde. Nun lasst uns alle für den kleinen Grafen beten. Gott zum Gruß!«
    »Hast du gesehen, wie kalkweiß der Bader ausgesehen hat?«, brummte der eine, etwas dickliche Wachmann, als Simon im unteren Stockwerk verschwunden war. »Wenn du mich fragst, der hat sich bei dem Kleinen angesteckt.«
    »Windiger Quacksalber!«, zischte der andere. »Jede Wette, dass ihn der Graf schon bald hängen lässt. Wenn ihn nicht vorher dieses verfluchte Fieber dahinrafft!« Er seufzte und kratzte sich ausgiebig zwischen den Beinen. »Es wird wirklich Zeit, dass wir dieses Pestloch endlich verlassen.«
    Simon taumelte hinaus auf den Klosterhof und blickte hin­auf zu dem Fenstersims, auf dem er noch vor ein paar Minuten gestanden hatte. Der Anblick ließ ihn ein weiteres Mal schwindlig werden. Tief in Gedanken durchschritt er die innere Pforte, die vom Hof in die Gassen vor dem Kloster führte, und war sofort wieder umgeben vom nicht abreißenden Strom der lärmenden Pilger.
    In Simons Kopf schien sich alles zu drehen, und das hatte nur zum geringen Teil mit seinem Erlebnis auf dem Sims zu tun. Was für eine Karte war das, die er auf dem Tisch des Grafen gefunden hatte? War es etwa die gleiche, die der Bibliothekar so schmerzlich vermisste? Die Karte, die zu dem unterirdischen Versteck der Mönche führte? Und was sollte der merkwürdige Hinweis auf eine Pforte ins Unterirdische?
    Je mehr der Medicus darüber nachdachte, desto mehr ­gelangte er zu der Überzeugung, dass Leopold von Wartenberg etwas mit den merkwürdigen Vorkommnissen im Kloster zu tun haben musste. Der Graf beschäftigte sich ganz offensichtlich mit den Reliquien und war aus irgendeinem geheimen Grund vom Kurfürsten persönlich hergeschickt worden. Außerdem verfügte er über einen Plan, der vermutlich die Kellergänge der früheren Burg zeigte – eben jene Gänge, durch die ein Golem spukte und wo der weibische Novizenmeister beinahe den Tod gefunden hatte.
    Simon drängte sich an den Wallfahrern vorbei, um schneller zurück zum Hospital zu gelangen, wo sich auch die Andechser Chronik befand. In seiner wenigen freien Zeit hatte er immer wieder darin geblättert. Nun musste er das Büchlein unbedingt zu Ende lesen! Vielleicht gab das dünne Werk ja Aufschluss darüber, was der Graf hier suchte. Oder war er am Ende selbst der Hexer?
    Als Simon das nach Urin und Unrat stinkende Hospital betrat, kam ihm Jakob Schreevogl mit trauriger Miene entgegen. Sein Rock starrte vor Schweiß und Schmutz, dem Schongauer Ratsherr war die Anstrengung der vergangenen Tage im Hospital deutlich anzumerken.
    »Wir haben einen neuen Toten zu beklagen«, sagte der Patrizier leise.
    Simons Herz machte einen Sprung. »Doch nicht etwa Pater Laurentius?«
    Schreevogl schüttelte den Kopf. »Es ist einer unserer Schongauer Maurer. Der Andre Losch. Gott sei seiner Seele gnädig!« Er seufzte tief. »Ich kann es noch gar nicht glauben. Der Andre war doch ein Bär von einem Mann! Vor drei Tagen hat er noch mit den anderen Maurermeistern fröhlich in der Taverne gezecht und plötzlich …«
    »Einen Augenblick!«, unterbrach ihn Simon. »In der ­Taverne, sagt Ihr?«
    Schreevogl nickte. »Ganz recht. Zusammen mit den Twangler-Brüdern. Alle drei sind mit hohem Fieber hierhergebracht worden. Den Andre hatte es allerdings am schlimmsten erwischt.«
    Mit einem Mal fiel Simon ein, was ihn schon vorher beim Gespräch mit dem Grafen irritiert hatte. Leopold von Wartenberg hatte davon gesprochen, dass die Familie in der Klostertaverne gespeist hatte.
    Erst jetzt erinnerte sich der Medicus, dass auch andere Kranke zuvor dort gegessen hatten, nicht nur Losch, der kleine Martin und die Twangler-Brüder.
    Vermutlich waren viele der wohlhabenderen Pilger in der Taverne eingekehrt, und Simon erkannte jetzt auch, dass

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