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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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der rechten Seite des Raumes stand ein breiter Tisch, auf dem neben einem Tintenfass einige Rollen Papier und ein dickes Buch lagen. Hinter dem Tisch saßen drei Männer. Zwei von ihnen waren die behäbigen Weilheimer Ratsherren, die Nepomuk bereits gestern kennengelernt hatte. Die beiden feisten, in teures Tuch gehüllten Männer glo­tzten ihn mit einer Mischung aus Abscheu, Angst und Neugierde an, so als hätten sie gewettet, ob der Hexer heute noch davonfliegen würde.
    Der dritte Mann saß aufrecht auf dem Stuhl in ihrer Mitte. Als Nepomuk ihn im Licht des prasselnden Feuers erkannte, wurde sein Zittern noch stärker. Er fiel auf die Knie und faltete die Hände zum Gebet.
    »Bitte, Bruder!«, flehte er. »Du musst mir glauben, das alles ist ein …«
    »Mach dir keine falschen Hoffnungen«, unterbrach ihn der andere. »Ich bin nicht mehr dein Bruder, sondern dein Inquisitor. Der Weilheimer Landrichter hat mir diese leidige Pflicht übertragen, mit der Aussicht, schon bald höhere Aufgaben erfüllen zu dürfen. Unser Kloster braucht dringend einen neuen Abt.«
    Die Augen des Andechser Priors leuchteten kalt wie zwei Glasmurmeln, als er sich mit einem Nicken an Meister Hans wendete.
    »Scharfrichter«, sagte Pater Jeremias, »wir wollen mit dem Verhör beginnen. Je eher er gesteht, desto besser.«

Samstag, der 19. Juni Anno Domini 1666,
abends in Andechs
    imon kauerte auf einem grob gezimmerten Stuhl neben dem Bett von Pater Laurentius und betrachtete mit­fühlend den von Verbrennungen entstellten Körper.
    Der Zustand des Mönchs war unverändert. Die vielen Brandwunden im Gesicht, am Rücken und den Beinen nässten, so dass immer wieder die Verbände gewechselt werden mussten. Das Antlitz des jungen Mönchs war verhüllt, nur Nase und Augen waren unter den Tüchern noch zu erkennen. Laurentius röchelte, gelegentlich zuckte einer seiner Finger, ansonsten war er leblos – eine mumienhafte Puppe, die kaum noch einem Menschen ähnelte.
    Mitfühlend beugte sich Simon über ihn und fasste seine Hand. Pater Laurentius schien den Druck zu spüren, sein Atem ging ruhiger. Plötzlich ertönten unter dem Verband einige gemurmelte, zunächst unverständliche Worte.
    »Pater«, sagte Simon leise. »Wenn Ihr mir etwas sagen wollt, dann …«
    »Er … lebt …«, kam es gedämpft unter den Tüchern hervor, »unten in den Gängen … ich … ich … habe ihn gesehen …«
    »Der Automat lebt?« Simon zuckte zusammen. »Aber wie ist das möglich? Wer steckt dahinter, Laurentius? Sprecht bitte, es ist sehr wichtig!«
    »Die … Hostien. Er … braucht die Hostien …« Das ­Gemurmel des Paters ging über in ein unverständliches ­Röcheln. Mit seiner rechten Hand griff er Simon am Kragen und zog ihn plötzlich zu sich herunter, so dass der Medicus das verbrannte Fleisch riechen konnte. Angewidert stellte er fest, dass der Pater tatsächlich den Geruch eines gegrillten Spanferkels verströmte.
    »Donner und Blitze! Donner und Blitze! Haltet ihn auf, bevor das Feuer vom Himmel kommt … das Feuer!«
    Mit einem letzten Schrei krümmte sich der Pater zusammen, die Hand an Simons Hals löste sich, und der Mönch fiel leblos zurück auf seine Bettstatt.
    »Pater Laurentius! Pater Laurentius!«
    Simon fühlte nach dem Puls des Novizenmeisters, konnte ihn aber nicht mehr spüren. Aufgeregt zog er aus seiner Arzneitasche eine kleine polierte Kupferscheibe und hielt sie Laurentius unter die Nase. Nach einer Weile beschlug die Scheibe, und der Medicus lehnte sich erleichtert zurück. Der Pater atmete, wenn auch sehr schwach. Es würde vermutlich nicht mehr lange dauern, bis er das Zeitliche segnete. Simon konnte nur hoffen, dass er vorher noch einmal zu Bewusstsein kam und etwas sagte. Was hatte Laurentius bloß mit seinem letzten merkwürdigen Satz gemeint?
    Donner und Blitze! Haltet ihn auf, bevor das Feuer vom Himmel kommt …
    Der Medicus atmete tief durch und versuchte zur Ruhe zu kommen. Offenbar hatte Laurentius den Automaten des Uhrmachers unten in den Gängen der ehemaligen Burg gesehen. Seinen wirren Worten zufolge lebte dieser Automat oder Golem tatsächlich, und das hatte irgendetwas mit den Heiligen Drei Hostien zu tun. Der Medicus erinnerte sich, dass zur Beschwörung eines Golems spezielle Zahlenreihen und Beschwörungen vonnöten waren. Etwa auch Hostien?
    Widerwillig schüttelte Simon den Kopf. Das konnte doch alles nicht wahr sein! Er war ein Mann der neuen Zeit – jener Zeit nach dem Großen Krieg,

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