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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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zu seinem Freund, so als erwartete er von ihm eine Antwort.
    Nepomuk schweigt.
    »Gegrüßet seist du, Maria, der Herr ist mit dir …«
    Leise murmelte Nepomuk in seiner Kerkerzelle die ewig gleiche Abfolge des Rosenkranzes, um seinen vertrauten Glauben wiederzufinden. Doch ihm war, als würde dieser durch die winzigen Ritzen der Mauern langsam entweichen.
    »Du bist gebenedeit unter den Frauen und gebenedeit ist …«
    Plötzlich ertönte über ihm das Knarzen der sich öffnenden Luke, und Nepomuks Herz begann zu rasen. Er wusste, dass sie ihn nun zu einem weiteren Verhör holten. Seine Zunge war mit einem Mal so trocken wie ein Kieselstein, er spürte, wie er unvermittelt zu zittern anfing.
    Tatsächlich dauerte es nicht lange, bis erneut die Leiter zu ihm herabgelassen wurde. Da er bereits zu schwach war, um selbst hinaufzusteigen, kletterte diesmal einer der Wachmänner zu ihm herunter und band ein Seil um seine Hüfte. Dann wurde er mit vereinten Kräften emporgehievt, wobei er wild wie ein Fisch am Haken zappelte.
    »Spar dir deine Kräfte besser für später auf«, ertönte eine bekannte Stimme. »Du wirst sie noch brauchen.«
    Es war Meister Hans, der wie ein weißhaariger Racheengel mit verschränkten Armen oben neben der Luke stand. Mit roten Augen musterte der Weilheimer Henker sein Opfer, dann tastete er ihn kurz ab, ob bereits etwas gebrochen war. Nepomuk wusste, dass auch Meister Hans, wie so viele andere Scharfrichter, als erfahrener Heiler galt. Es war seine Aufgabe, zu überprüfen, ob der Delinquent für weitere Verhöre tauglich war.
    »Hör mich an«, begann Meister Hans fast fürsorglich, während er Nepomuk wie ein Stück rohes Fleisch befühlte. »Du weißt, ich verdiene mit jedem Tag Tortur gutes Geld an dir. Also sollte ich mich eigentlich freuen, dass du gestern so gut durchgehalten hast. Auf der anderen Seite …« Interessiert musterte er Nepomuks geschwollene blutige Finger, so als wollte er sein eigenes Werk noch einmal begutachten, »auf der anderen Seite gehört es auch zu meinen Pflichten, dir zu sagen, dass dein Leugnen schlicht keinen Zweck hat. Glaub mir, du wirst gestehen, irgendwann. Alles andere wäre schlech t für meinen Ruf. Also mach es dir selbst nicht so schwer.« Er kam nun ganz nah an Nepomuks Ohr. »Du hast gesagt, dass du selbst aus einer Henkersfamilie stammst. Da müsstest du es eigentlich selbst besser wissen, werter Vetter.«
    Lachend gab der Scharfrichter Nepomuk einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter. Dann schloss sich erneut die eiserne, dornenbewehrte Gabel um den Hals des Mönchs, und die Wachen schoben ihn durch die mit Fackeln beleuchteten Gänge.
    »Du wirst heute einen besonderen Gast begrüßen dürfen«, sagte Meister Hans, der den Trupp mit einer Laterne anführte. »Graf von Cäsana und Colle ist es leid, das Verhör zu leiten. Er geht lieber auf die Jagd. Würd ich auch gern tun, wenn ich die Zeit und das Geld dafür hätt.« Der Weilheimer Scharfrichter schüttelte abfällig den Kopf. »Sah gestern schon kreideweiß aus, der hohe Herr, als ich dir die Nägel gezogen hab.« Leise fügte er hinzu: »Das ist eben nichts für so einen verwöhnten Weißbrotfresser. War beim letzten Mal auch schon so. Das einzige Blut, das der Graf sehen kann, ist Hirschblut.«
    »Und wer kommt an seiner statt?«, krächzte Nepomuk, während ihm die Eisengabel mit ihren Dornen den Hals aufschürfte. Eine leise Hoffnung regte sich in ihm, dass es vielleicht ein gemäßigter Magister aus München war, der sich mehr für die Wahrheit als für Zauberei interessierte. Die beiden Beisitzer waren beflissene Weilheimer Ratsherren, die dem Grafen nur nach dem Mund geredet hatten. Vielleicht ließen sie sich von einem Gelehrten aus der Stadt eines Besseren belehren.
    »Du kennst ihn«, erwiderte Meister Hans nach einer Weile. »Der Graf selbst hat ihn für diese Aufgabe ausgewählt. Soll sich wohl so seine Sporen verdienen.«
    Mittlerweile hatten sie den Eingang zur Fragstatt erreicht. Der Scharfrichter öffnete die Tür, und die Büttel zerrten Nepomuk in den dunklen Raum, der nur durch ein knisterndes Feuer in einem Eisenkorb erhellt wurde. Wie bereits vorhin in der Zelle überkam den Apotheker ein nicht zu kontrollierendes Zittern. Er ließ seinen Blick schweifen über den von gestern noch blutigen Verhörstuhl, die Streckbank und die Seilwinde, mit der ihn Meister Hans vermutlich heute noch hochziehen würde, bis seine Sehnen wie trockenes Tauwerk zersprangen.
    An

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