Der Hexer und die Henkerstochter
immer gesagt, wir sollen nicht hierher in dieses Dreckloch von Kloster reisen. Den Schlüssel hätte auch jemand anders bringen können. Warum in Gottes Namen hat der Kurfürst nur dich beauftragt, diese …«
»Himmelherrgott, ich habe gesagt, du sollst den Mund halten!«
Offensichtlich hatte der Graf nicht beabsichtigt, so laut zu werden. Simon spürte deutlich, dass ihm etwas verschwiegen worden war.
Leopold von Wartenberg beäugte ihn argwöhnisch. »Ist noch was?«, fragte er barsch.
»Äh, ja, eine Frage habe ich doch noch«, sagte Simon, um das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. »Hat Euer Sohn irgendetwas getan, was er sonst nicht macht? Hat er vielleicht was Bestimmtes gegessen oder getrunken? Etwas, was der Grund für diese Krankheit sein könnte?«
Der Graf schien sein Misstrauen vergessen zu haben. Er dachte kurz nach. »Eigentlich nicht«, erwiderte er schließlich. »Wir haben unseren eigenen Koch dabei, der in der Klosterküche für die Zubereitung unserer Speisen zuständig ist.« Plötzlich hielt er inne. »Vor drei Tagen allerdings, da haben wir abends in der Andechser Taverne gegessen, weil unser Koch in Herrsching war, um frischen Fisch zu besorgen. Das Essen im Wirtshaus war schlicht, aber kein Fraß. Es gab gebeizte Hirschkeule mit Knödel und geschmorten Rüben. Äußerst wohlschmeckend, wenn auch etwas zäh.«
»Hirschkeule. Ich verstehe.« Simon nickte nachdenklich. Irgendetwas an der Antwort ließ ihn aufhorchen, aber er kam nicht darauf, was es war.
Schließlich fühlte er ein letztes Mal nach dem Puls des kleinen Martin. Er war noch immer hoch, doch wenigstens schien das Kind jetzt ruhiger zu schlafen. Müde stand Simon auf.
»Ich wäre Euch sehr verbunden, Euer Exzellenz, wenn Ihr mir jede Veränderung seines Zustands mitteilen würdet«, sagte er, während er sich tief verbeugte. »Zum Guten wie zum Schlechten. Und nun gehabt Euch wohl. Es warten leider noch andere Patienten auf mich.«
Graf Wartenberg entließ ihn mit einer unwirschen Handbewegung, und Simon ging unter weiteren Verbeugungen aus dem Raum. Draußen auf dem Gang konnte er die Gräfin erneut schluchzen hören.
Erschöpft rieb sich der Medicus die Schläfen und versuchte nicht daran zu denken, dass ihm noch eine lange Nacht am Bett des Novizenmeisters bevorstand. Vielleicht konnte er Jakob Schreevogl ja bitten, wenigstens den zweiten Teil der Krankenwache zu übernehmen. Er würde dem Ratsherrn einfach erzählen, der Zustand des jungen Mönchs sei so gravierend, dass er einer ständigen Pflege bedurfte.
Während er langsam durch den mit Gobelins behängten Flur Richtung Ausgang schritt, dachte er noch einmal an den merkwürdigen Wortwechsel zwischen dem Grafen und seiner Frau. Offenbar war Wartenberg im Auftrag des Kurfürsten hier. Aber warum? Und was war daran so geheim, dass er nicht vor einem Fremden darüber sprechen wollte?
Simon fiel ein, dass der Graf zudem über eine Woche zu früh hierhergekommen war. Wartenberg hatte den Schlüssel für die Reliquienkammer zu überreichen, aber dafür hätte es auch genügt, wenn er zum morgigen Dreihostienfest erschienen wäre. Warum also war er so früh angereist? Und was für Geschäfte waren das, die der Graf mit dem Schongauer Bürgermeister machte?
Mittlerweile hatte der Medicus das hohe zweiflüglige Portal erreicht, das vom Fürstentrakt in die einfacheren Gemächer führte. Simon blieb stehen. Die Wachen befanden sich auf der anderen Seite des Portals, der Graf und seine Frau saßen noch immer am Bett ihres kranken Sohnes. Nachdenklich betrachtete Simon die einzelnen Türen, die vom Gang abgingen. Sollte er es wagen, sich hier umzusehen?
Mit klopfendem Herzen schlich er auf die erste Tür zu, drückte die Klinke und stellte fest, dass der Raum dahinter nicht abgesperrt war. Zögernd warf er einen Blick hinein. Der offene Kleiderschrank und die auf dem Boden verteilten Kostüme, bunten Tücher und Pelzkappen verrieten ihm, dass es sich um das Zimmer der Gräfin handeln musste. Schnell schloss er die Tür wieder und wandte sich dem nächsten Raum zu.
Das zweite Zimmer war ein Treffer.
Simon erblickte einen gewaltigen Tisch aus poliertem Kirschholz, der beinahe die ganze hintere Front einnahm. Darauf stand ein Tintenfässchen mit Feder, daneben lag ein Stapel mit Pergamenten und Papierrollen. An der rechten Seite des Tisches befanden sich ein bis zur Decke reichendes Bücherregal und ein Lehnstuhl. Ein hohes Fenster ließ das Licht der
Weitere Kostenlose Bücher