Der Hexer und die Henkerstochter
würde dieser Jemand finden, was sie dort unten so gut verborgen hatten. Das durfte nicht geschehen!
Pater Benedikt hatte ihm zwar versichert, dass der Durchgang zu ihrem Versteck zugemauert war, doch Laurentius wusste, dass es auch andere Zugänge zur Burg gab. Er selbst hatte in der Bibliothek davon gelesen. Es war das reinste Labyrinth! Irgendwann, während die Melodie weiter und weiter spielte, würde man einen dieser Gänge entdecken und hinuntersteigen, um nach dem Rechten zu sehen. Dann drohte ihnen allen das Feuer, wenn nicht sogar das Kochen in siedendem Öl. Laurentius hatte davon gelesen, dass man diese Strafe in früheren Jahrhunderten bei Hochverrat und Geldfälscherei angewandt hatte. Und war ihr Vergehen nicht schlimmer als diese beiden Verbrechen zusammen? Sogar viel schlimmer?
Also musste er dort unten alles heimlich wegschaffen. Nur wie? Bruder Eckhart und Bruder Benedikt beobachteten ihn mit Argusaugen, er konnte ihre Blicke förmlich spüren. Niemals würden sie ihm gestatten, ihr gemeinsames Lebenswerk zu vernichten.
Nach stundenlangem Wandern durch das von Felsen gesäumte Kiental hatte Laurentius schließlich eine Eingebung gehabt und einen weiteren geheimen Einstieg gefunden. Gott selbst schien ihm den Schlüssel in die Hand gegeben zu haben, um sein Verbrechen zu sühnen! Doch dass er auf diese Weise, so unendlich schmerzhaft bezahlen musste, das wäre ihm nie in den Sinn gekommen. Durch sämtliche Ringe von Dantes Inferno war Laurentius gewandert, hatte sämtliche Grade des Schmerzes erlebt. Aber vielleicht würde nun alles wieder gut werden.
Gerade eben war der Pater wieder wach geworden. Ein unvertrautes Geräusch hatte ihn geweckt, ein Geräusch, das er durch die Verbände nur gedämpft vernehmen konnte. Aufmerksam lauschte er, doch nun blieb es still. Da legte sich plötzlich eine Hand auf seinen Mund und seine Nase und drückte ihn sanft, aber unnachgiebig in die Kissen seiner Bettstatt.
»Mmmmmmhhhh …« Laurentius versuchte, mit seinen bandagierten Fingern nach dem Angreifer zu fassen. Aber er war zu schwach, mehr als ein Zucken brachte er nicht zustande. Die starke Hand blieb auf seinem Gesicht ruhen, nahm ihm die Luft, erstickte ihn. Er musste atmen, unbedingt atmen! Doch eingewickelt in Dutzende von Tüchern war er wie gelähmt. Er konnte nicht sprechen, nicht hören, er sah nichts – da war nur diese eine Hand auf seinem Gesicht, die nicht lockerließ. Er zuckte und zappelte. Endlich bekam er mit seinen Fingern ein Stück Stoff zu fassen, zog daran, zerrte, bis der Stoff riss. Seine Finger krallten sich um den Fetzen, hielten ihn fest. Jede einzelne Faser des weichen Tuchs konnte er spüren, es war nachgiebig und fest wie ein gut gewebter Teppich, wie ein frisch aufgeschütteltes Kissen. Erinnerungen an seine Kindheit, an seine Mutter, an seine ersten Tage als Novize huschten durch seinen Kopf.
Endlich wurde Laurentius gewahr, dass dies das Sterben war; dass er langsam in ein weiches schwarzes Bett versank. Der Drang zu atmen ließ nach und machte einem Gefühl unglaublicher Erleichterung Platz.
Diesmal wachte Laurentius nicht wieder auf.
Der Mörder erhob sich, nachdem er dem Pater ein letztes Mal fast liebevoll über das bandagierte Gesicht gestreichelt hatte. Dann wandte er sich dem Medicus zu, der, immer noch auf seinem Stuhl zusammengesunken, irgendeinen schönen Traum träumte. Simons Lippen umspielte ein leichtes Lächeln.
Zögernd strich der Mann über den schmutzigen Rock des Medicus, die Finger wanderten hoch zu dem teuren, wenn auch eingerissenen Spitzenkragen und spielten mit dem akkurat ausgeschnittenen Kinnbart. Ein sanftes Drücken nur, ein kleiner Schnitt mit dem Messer, und er hätte ein weiteres Problem des Meisters aus der Welt geschafft.
Doch er konnte nicht.
Leise seufzend ließ der Mann von dem Medicus ab, als sein Blick plötzlich auf das kleine Büchlein fiel, das vor ihm auf dem Boden lag. Er hob es auf und begann darin zu blättern; schnell erkannte er, worum es sich handelte.
Dies allerdings würde den Meister interessieren.
Er steckte das Buch ein und verschwand so lautlos, wie er gekommen war. Simons Schnarchen begleitete ihn noch bis zur nächsten Ecke.
»Und du weißt wirklich nicht, wo sich dein Vater jetzt rumtreibt?«
Der Schinder Michael Graetz starrte Magdalena fassungslos an. In der letzten halben Stunde hatte sie ihm erzählt, was im Kloster bislang vorgefallen war. Auch von Kuisls Freund Nepomuk hatte sie berichtet
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